Auf der Suche nach dem "guten Leben"

Der österreichische Korruptionssumpf verdeutlicht, warum die Einführung des Pflichtfachs Ethik unerlässlich ist.

Einige zehntausend Euro für einen lokalen Fußballverein, noch mehr für genüssliche Jagd, gesponsert von Unternehmen an Politiker, die daraufhin Gesetze in die gewünschte Richtung steuern, in allen Parteien – kein Wunder, dass viele Mitbürger, von solchen Beträgen nur träumend, von der Politik enttäuscht sind. Was tun? Der Leiter der Antikorruptionsakademie, Martin Kreutner, argumentiert in die richtige Richtung: eine breite Ethikdebatte.

Sofort schließt sich die Frage an: Wo lernt unsere nachwachsende Generation Ethik, das „gute Leben“, wozu Wahrhaftigkeit und Unbestechlichkeit unverzichtbar gehören? Wohl nur bedingt beim Betrachten des öffentlichen Lebens. Am nachhaltigsten gewiss in der Primärsozialisation, von Müttern und Vätern, die ihrem Nachwuchs aber nur zu oft zu erkennen geben müssen, wie korrupt Politik geworden ist. Prädestiniert ist die Schule, und in dieser das Fach Ethik. Mit dem Beginn dieses Schuljahres ging in Österreich ein Schulversuch ins vierzehnte Jahr, der in allen anderen EU-Staaten längst im Regelschulwesen implementiert ist: Ethik.

Im Auftrag der damaligen Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer evaluierte der Verfasser dieser Zeilen bereits im Jahre 2000 die jungen Ethikschulversuche (mittlerweile sind es um die 200). Dabei trat zutage: Ethikschüler mögen das Fach, sie registrieren Lerngewinne, die nützlich für ihr (Zusammen-)Leben sind, neigen weniger zu ausländerfeindlichen Stereotypen, halten mehr auf Prinzipien wie Toleranz und Wahrhaftigkeit. Moralpsychologisch ist erwiesen: Im Jugendalter kann Erziehung ethische Einstellungen noch in wünschenswerte Richtungen beeinflussen. Diese Chance wird für viele junge ÖsterreicherInnen vertan, weil sie im Café sitzen können, während – mittelfristig immer weniger – Mitschüler in Religion gehen.

Im Mai 2011 fand eine parlamentarische Enquete zum Ethikunterricht statt. Konsens: Ethische Bildung ist wichtig, auch vonseiten der katholischen Kirche, die Ethikunterricht gebremst hatte und offiziell erst für ihn eintrat, als sich gewichtige Stimmen (auch Bundesministerin Schmied) für Ethik als Pflichtfach für alle SchülerInnen stark machten.

Ohnehin: Ein Fach „Ethik und Religionskunde“ für alle, im besten Fall verantwortet vom Staat und von Religionsgemeinschaften, wäre die angemessenste Lösung. Die eigene Tradition in der Begegnung mit anderen kennenlernen, Orientierung an einem die Religionen verbindenden Weltethos (H. Küng). Und die kostengünstigste dazu, weil in vielen Klassen nicht mehrere Lehrer (Religion, Ethik) zu besolden wären.

Woran es sich spießt: am Geld! Davon abgesehen, dass die angedachte Lösung, die selbst in der Innerschweiz längst realisiert ist, günstiger ist: Korruption kostet. Was sich durch mehr Unbestechlichkeit einsparen ließe, das könnte flächendeckenden Ethikunterricht finanziell mitermöglichen.


E-Mails an: bildung@diepresse.com

Zur Person

Anton A. Bucher ist Erziehungswissenschaftler und Religionspädagoge an der Uni Salzburg und Evaluator der Ethikschulversuche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.