Warum zwischen Verwaltung und Politik das Misstrauen wächst

Die Verwaltung in Österreich müsste endlich mehr Mut zeigen und sich von der Rolle einer Rechtsvollzugsmaschine emanzipieren.

Kein Tag vergeht in Österreich ohne neue Korruptionsvorwürfe gegen einen aktuellen oder gewesenen Minister und seine Mitarbeiter. Mittlerweile stehen auch bereits mehrere Bundeskanzler im Verdacht, von unsauberen Praktiken zumindest gewusst zu haben.

Zu lange wurde weggesehen, bei der Kooperation mit Medien, bei der Finanzierung von Kabinettsmitarbeitern, Homepages, Beratungsverträgen, bei Auftragserteilungen und auch bei der Bestellung von Aufsichtsräten und Spitzenbeamten. Die Beamtenschaft ist verpolitisiert, Ministerbüros spielen teils undurchsichtige Rollen, das Misstrauen zwischen Politikern und Beamten wächst ständig.

Die Diskussionen über Reformen scheinen endlos, die Ergebnisse sind nicht zuletzt aufgrund der regelmäßigen Einsprüche mächtiger Interessengruppen und Ländervertreter mager. Ein wesentlicher Teil des Problems scheint dabei im schlampigen Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung zu liegen, das mittlerweile ein Teil der österreichischen politischen (Un-)Kultur geworden ist. Doch wie kommt es dazu?

Wissensvorsprung der Beamten

Minister haben knappe Ressourcen, die konkreten Befugnisse von Ministerbüros sind unklar, und Beamten fehlen in der Folge oft klare Richtlinien. Geprägt wird das Verhältnis von Politikern und Beamten weniger von Verfassungsprinzipien und Gesetzesnormen, sondern eher vom Wissensvorsprung der Beamten.

Ein gutes Beispiel ist die Art und Weise, wie Gesetze entstehen. Diese entspringen zum größten Teil nicht einem gelebten und aktiven Parlamentarismus. Gesetzesentwürfe werden in komplexen und oft langwierigen Prozessen üblicherweise von Beamten mit Interessenvertretern ausgehandelt und auf der Basis von viel Erfahrung und Fachwissen geschrieben.

In diesem Prozess sind allerdings die gewählten Volksvertreter meist nicht eingebunden und auch Minister sehen den Gesetzesentwurf oft erst dann, wenn er schon fertig ist und in der Folge Ministerrat und Parlament passieren soll. Und das geschieht dann auch: In mehr als drei Viertel der Fälle werden Gesetzesentwürfe weder im Ministerrat noch im Parlament verändert.

Im Umgang mit dem Wissensvorsprung der Verwaltung und dem daraus folgenden imaginierten oder realen Kontrollverlust der Minister bringen die Politiker eine Reihe von Strategien zur Anwendung, die alle ihre Tücken haben.

So waren Mitte der 1980er-Jahre Ministerkabinette mit vier Mitarbeitern nicht unüblich, während zwei Jahrzehnte später in Büros blau regierter Ministerien oft 20 und mehr Personen arbeiteten. Auch die gegenwärtige Regierung liegt mit über 150 Kabinettsmitarbeitern nicht weit vom Niveau von Schwarz-Blau entfernt.

Da für eine Vergrößerung des Personalstands aber nur begrenzt Experten zur Verfügung stehen, hat sich deshalb die Praxis etabliert, dass Interessenvertretungen, Unternehmen und andere Organisationen der Politik Personal zur Verfügung stellen. Der gelernte Österreicher fragt sich: Cui bono – wer profitiert davon?

Politische Personalbesetzungen

Eine weitere Methode, die Verwaltung zu kontrollieren, sind politische Personalbesetzungen, oftmals aus Ministerbüros heraus. Auf diese Art und Weise finden parteipolitisch nicht aktive Beamte und Beamtinnen zunehmend weniger Aufstiegsmöglichkeiten vor.

Wie motivierend ist wohl die Erkenntnis eines engagierten 35-jährigen Beamten, dass er den Höhepunkt seiner Karriere mit der Ernennung zum stellvertretenden Abteilungsleiter bereits erreicht hat? Oft die einzige Alternative: der Erwerb eines Parteibuches.

Schließlich wird auch in Österreich seit Mitte der 1990er-Jahre eine Entbürokratisierung der Bürokratie durch Einführung betriebswirtschaftlicher Elemente versucht, wozu auch Ausgliederungen gehören. Diese Reformschritte haben eine Reihe von positiven, aber durchaus auch paradoxen Effekten.

Kaum empirische Forschung

So hat durch diese Maßnahmen die Anzahl der ausgelagerten Stellen deutlich zugenommen, und es sind neue Koordinationsprobleme zwischen einzelnen Verwaltungseinheiten entstanden.

Das bedeutet, dass eben jenes Mittel, mit dem Politiker die Kontrolle über die Verwaltung vergrößern wollten, das genaue Gegenteil bewirkt hat. Was also ist zu tun? Die sozialwissenschaftliche Forschung weiß ziemlich wenig über konkrete Verwaltungshandlungen. Besonders in Österreich ist die empirische Erforschung der Verwaltung nur in Ansätzen vorhanden.

Das Beispiel USA

Doch auf welcher Basis sollen umfassende Reformen der Verwaltung stattfinden, wenn ihre Tätigkeit nicht wissenschaftlich erforscht ist? Deutschland und die skandinavischen Länder sind uns da weit voraus.

Die Verwaltung sollte mehr Mut zeigen und sich von der Rolle einer Rechtsvollzugsmaschine emanzipieren. Internationalen Trends folgend, sollte sie von außen besser einsehbar und demokratischer werden. Hier könnten wir uns die USA zum Vorbild nehmen: Dort können Betroffene ihre Verwaltungsakte einsehen, öffentliche Verhandlungen sind Usus.

Im Bereich der Politik ist mehr Klarheit bezüglich der Rollen von Ministern, Ministerbüros und der Beamtenschaft notwendig. Ein reformiertes Antikorruptionsgesetz ist hier nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es einer Regelung, wie die einzelnen Funktionen der jeweiligen Akteure ausgefüllt werden sollen. Im Besonderen betrifft das Ministerbüros und ihr Verhältnis zur Verwaltung.

Verwaltungsreform überfällig

Querfinanzierungen aus verwaltungsfremden Organisationen und in verwaltungsfremde Organisationen sind klar zu regeln – im Hinblick auf Medienkooperationen und andere Praktiken der Vermittlung der Leistungen von Politik und Verwaltung.

Die Politisierung der Leitungsfunktionen der Verwaltung ist zu hinterfragen. Berechtigt oder unberechtigt erhöhen Ernennungen aus dem Umfeld des amtierenden Ministers oder der Ministerin das Misstrauen zwischen Politik und Verwaltung mit jedem Wechsel der Couleur an der Spitze eines Ministeriums.

Schließlich fehlt eine breit angelegte Verwaltungsreform. Auch umfangreiche Vorhaben wie E-Government, elektronischer Akt, neues Haushaltsrecht und Auslagerungen sind Teilreformen und zeitigen aufgrund der fehlenden Koordination von Verwaltungstätigkeit teilweise paradoxe Effekte. Sie ersetzen somit nicht eine umfassende Verwaltungsreform, die dann auch Probleme der Doppelgleisigkeiten auf den vier nationalen Verwaltungsebenen ernsthaft in Angriff nimmt.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comDr. Peter Biegelbauer hat an der Uni Wien und am MIT studiert und ist Senior Researcher am IHS in Wien. Er ist im Herbstsemester Gastwissenschaftler am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Im Frühjahr erscheint sein Buch „Wie lernt die Politik? Lernen aus Erfahrung in Politik und Verwaltung“ (VS Verlag). [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2011)

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