Demokratie braucht frischen Wind in den Segeln

Immer mehr Menschen in der repräsentativen Demokratie sind mit ihren gewählten Vertretern unzufrieden. Sie wollen bei der Lösung der Probleme mitreden – streben also nach mehr direkter Demokratie.

Über die Demokratie wird zur Zeit gerade wieder heftig diskutiert. Viele wollen sie verändern, mit neuen Inhalten füllen, wollen mehr oder weniger Demokratie, repräsentative und/oder direkte Demokratie etc. Schauen wir zunächst zurück zum Ursprung und klären wir Begriffe:

„Demos“ (griechisch Staatsvolk) ist ursprünglich die kleinste Verwaltungseinheit innerhalb einer antiken griechischen Polis. Der Begriff bezeichnet eine Gemeinde, gemeinhin auch das Volk. In der Neuzeit wird auch die Bezeichnung einer Gemeinde des heutigen Griechenlands hiervon abgeleitet. „Kratein“ (griechisch) kann am besten mit „herrschen“ übersetzt werden. Bei einer Demokratie handelt es sich also im ursprünglichen Sinn um ein „sich selbst verwaltendes Dorf“.

Mehr Mitspracherecht

Wenn heute über Demokratie neu nachgedacht wird, muss daher unter anderem auch die Frage gestellt werden, ob Demokratie in der jetzigen Form in großen Gesellschaften überhaupt durchführbar ist. Immer mehr Menschen in der repräsentativen Demokratie sind mit ihren gewählten Vertretern unzufrieden. Sie wollen mehr Mitspracherecht – sie streben also eine direkte Demokratie an.

Da die Formen direkter Demokratie (Plebiszite = vom einfachen Volk kommend) in Österreich sehr beschränkt sind und sehr oft ohne konkrete politische Folgen bleiben, sympathisiert Nationalratspräsidentin Barbara Prammer mit dem Dreistufenmodell des unabhängigen deutschen Vereins „Mehr Demokratie“ und stellt dieses auch in Österreich zur Debatte. Prammer argumentiert, dass sie sich „intelligente Formen“ des Volksentscheids vorstellen könne.

Anneliese Rohrer meint in ihrem Buch „Ende des Gehorsams“, dass die Zukunft des Landes von der Mehrheit der Bürger und der Gesamtbevölkerung abhänge. Ich bin der Meinung, dass für die erforderlichen gesamtpolitischen Veränderungen „die Mehrheit der Bürger“ nicht notwendig ist, schon gar nicht die gesamte Bevölkerung. Unabdingbar ist jedoch eine Veränderung von Systemen, die überholt sind und den Menschen von heute nicht mehr gerecht werden.

Es reicht, so wie es derzeit geschieht, dass immer mehr Menschen sich aktiv an den notwendigen Veränderungsprozessen beteiligen und Verantwortung für diese Prozesse und damit für die Gesellschaft übernehmen.

Wenn politisches Handeln nicht mehr das Gemeinwohl zum Ziel hat, wird es scheitern. Wenn Wirtschaft nicht mehr den Menschen im Mittelpunkt hat, wird sie scheitern. Vieles wurde verdreht und von vielen geglaubt. Der allbekannte Slogan „Geht's der Wirtschaft gut, geht's den Menschen gut“ kann – so wie vieles andere auch – nicht stimmen. Denn im Mittelpunkt sollte das Wohl jedes einzelnen Menschen stehen – und nicht etwas Abstraktes wie „die Wirtschaft“ etc.

Krank machende Systeme

Ein massives Indiz für krank machende gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Systeme ist, dass sie die Hauptursache für Krankenstände, Invaliditäts- und Frührenten sowie psychische Erkrankungen sind. Am häufigsten sind Angststörungen, depressive und somatoforme Erkrankungen sowie zunehmend Suchterkrankungen.

Menschen befinden sich auf dem Weg der Gesundung, wenn sie aus Resignation und Hoffnungslosigkeit heraustreten und ihr Leben, ihren Arbeitsplatz und ihre Umwelt aktiv mitgestalten und durch ihr (politisches) Handeln wieder aktiv werden. Geht's den Menschen gut – an den Arbeitsplätzen, in den Beziehungen, in der Umwelt etc. –, dann geht's uns allen (auch wirtschaftlich) gut!

Neue, zeitgemäße Lösungen

„Die Probleme, die es in der Welt gibt, sind nicht mit der gleichen Denkweise zu lösen, die sie erzeugt hat“, sagte Albert Einstein angesichts der Weltwirtschaftskrise 1929. Der (Welt-)Karren wurde an die Wand gefahren. Die Lösungen, die von denjenigen angeboten werden, die die Probleme verursacht haben, sind bestenfalls kosmetische Operationen, aber keine wirklichen Lösungen. Sie speisen sich aus alten Denkbahnen.

Für neue, zeitgemäße Lösungen ist ein Umdenken notwendig! In diesem neuen Denken – das auch mit einem anderen Menschenbild verbunden ist – wird nicht in einem Entweder-oder, sondern in einem Und, nicht in einem „Was ist besser, was ist schlechter“, sondern in einem „Beides hat seine Berechtigung, und wo ist die Verbindung?“ gedacht. Kein Gegeneinander, sonder ein Miteinander.

Lösungen wurden bereits von vielen Menschen, die sich mit ihren Sorgen, Nöten und Problemen von der Politik alleingelassen fühlen und die sich daher bereits selbst damit beschäftigen mussten, erarbeitet. In einer funktionierenden Solidargemeinschaft hilft man sich gegenseitig, man unterstützt und fördert einander. Vor allem aber müssen auch jene Menschen einen Platz haben (im wahrsten Sinn des Wortes), die nichts beitragen wollen oder können, ohne dass sie deswegen diskriminiert und abgewertet werden!

Es gibt sie bereits – die Lösungen! Neue gewaltfreie Kommunikationsformen; neue Beziehungs- und Gemeinschaftsformen; nachhaltiges, ökologisches, menschenwürdiges Wirtschaften; neue Organisationsmodelle für gerechteres und vor allem freudvolles politisches Handeln; das Grundeinkommen für alle.

Die Marktplätze der Gegenwart

Aufgrund der Erkenntnis, dass Isolation die Wurzel der von Egoismus und Gier geprägten, erkrankten Wirtschaft ist, haben sich Unternehmer zusammengeschlossen, um in Verbundenheit an einer Wirtschaft der Freude zu arbeiten. Um Selbstorganisation und Eigenverantwortung in der Bevölkerung zu stärken, wurde der Bürgerrat entwickelt. Ein Beteiligungsverfahren, in dem Bürger motiviert werden, Themen und Anliegen ihrer Wahl zu diskutieren und Lösungsideen und Empfehlungen zu entwickeln.

Im antiken Griechenland wurde am Marktplatz der Stadt („polis“) von den Bürgern „Politik“ gemacht. Die Marktplätze der Gegenwart sind das Internet, viele Arten von Gemeinschaftsprojekten und -initiativen etc. Auf diesen „Marktplätzen“ geht es um Fragen, die die Menschen bewegen. Die Bürger diskutieren – es wird geredet und gehandelt.

Diese Projekte kann man als Demokratie im ursprünglichen Sinn verstehen – als „sich selbst verwaltende Dörfer“. Niemand wird ihre Interessen besser vertreten können als sie selbst. Politik mit der ethischen Haltung des Gemeinsinns für das Gemeinwohl!

Unsere Demokratie braucht frischen Wind in den Segeln. Sie muss neu gedacht, überdacht und mit sinnvollen direktdemokratischen Methoden ergänzt und verbunden werden. Demokratie muss wieder leben und mit Freude gestaltet werden.

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.comMonika Krampl (*1950) ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis seit 1990. Von 1985 bis 2009 war sie Mitbegründerin, Projektleiterin und Aktivistin in gesundheitspolitischen und zivilgesellschaftspolitischen Projekten. Seit 2010 Studentin der Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2012)

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