Israel und Iran als Todfeinde: Demagogie und Tragödie

Mit seiner schrillen Rhetorik gegen die iranische Bedrohung verfolgt Israel vor allem ein Ziel: die Amerikaner „mit ins Boot“ zu holen.

Die Feindschaft Israels gegenüber dem Iran beruht sowohl auf „offiziellen“ Begründungen als auch auf realpolitischen Motiven. Zu Letzteren gehört der Wunsch, eine hegemoniale Stellung in der Region und vor allem die militärisch-technologische Überlegenheit beizubehalten.

Das eigene Atomwaffenarsenal (angeblich 200 bis 300 Sprengköpfe) ist in diesem Kontext zu sehen. Es erlaubt Israel, seine Politik gegenüber den Palästinensern, aber auch gegenüber der unmittelbaren Nachbarschaft – wie die dem Iran nahestehenden Feinde Hisbollah, Syrien, Hamas – mit Unterstützung durch die USA fortzusetzen.

Ein nuklearer Iran, selbst wenn er nur an der Schwelle zur Produktion von Atomwaffen stünde, würde Israels Manövrierfähigkeit erheblich einschränken. Darin liegt wohl der Hauptgrund für die seit mindestens zehn Jahren wiederholte Warnung, der Iran stehe unmittelbar davor, Nuklearwaffen einsetzen zu können. Die Analogie zu den angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein ist zumindest auffallend. Auffallend ist auch, dass die gleichen Koalitionen, die den desaströsen Irak-Krieg angezettelt haben, heute für ein militärisches Vorgehen gegen den Iran eintreten.

Bedrohung wird globalisiert

Damals wie heute war Israel nur ein Element der Interessenkonstellation. Auch heute wird die Bedrohung nicht nur auf Israel bezogen, sie wird globalisiert. Vor allem die USA sollten der Bedrohung entgegentreten.

Israel hat im Unterschied zum Iran den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet und wird daher auch nicht von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA überwacht. Darüber hinaus ist weder Absicht noch Realität eines iranischen militärischen Nuklearprogramms eindeutig erwiesen.

Natürlich haben die USA ein traditionell enges Bündnis mit Israel, sie müssen jedoch auch regionale und globale Interessen berücksichtigen. Daher benötigt Israel zusätzliche Argumente, um die USA „mit ins Boot“ zu holen.

Dieses Ziel wird auf mehreren Ebenen verfolgt. Da ist zunächst die Darstellung, das iranische Regime wolle Israel „von der Landkarte ausradieren“. Dieses Narrativ kann sich auf eine bestimmte Interpretation mehrerer Aussagen von Präsident Mahmoud Ahmadinejad stützen. Ahmadinejad goss noch mehr Öl ins Feuer, indem er bei mehreren Gelegenheiten den Holocaust relativierte oder sogar als Mythos bezeichnete. Ein Höhepunkt war die Konferenz „A World without Zionism“, die im Dezember 2006 in Teheran stattfand.

Der Holocaust wird von der iranischen Führung als Legitimationsideologie des zionistischen Staates wahrgenommen. Daher das Interesse, seine Ungeheuerlichkeit abzuschwächen, wenn nicht gar zu leugnen – daher aber auch andererseits die häufige Formulierung, es habe sich beim (also doch stattgefundenen) Holocaust um ein europäisches Verbrechen gehandelt. „Warum sollten also Araber und Muslime den ,Preis‘ dafür bezahlen? Soll doch die christliche Welt ein Territorium für die Juden zur Verfügung stellen.“

Diese Konfusion beweist nur, dass im Iran und anderswo in der islamisch-arabischen Welt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit europäischer Geschichte stattgefunden hat; sie beweist aber auch den Unterschied zum traditionellen „abendländischen“ Antisemitismus, dem es nicht um Israel, sondern um „die“ Juden geht.

Es ist nach alledem nicht verwunderlich, dass Israel folgendes Bild gemalt hat: Die iranischen antisemitischen Islamisten wollen den Staat Israel vernichten, die Holocaust-Leugner wollen einen zweiten Holocaust veranstalten, und dazu brauchen sie „die“ Bombe.

Hier gibt es jedoch auch Probleme und Widersprüche in der israelischen Darstellung. Einerseits wird auf der Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Holocaust bestanden, andererseits werden sowohl innen- als auch außenpolitische Gegner (in verschiedenen Zusammenhängen) leichtfertig als „Nazi“ und „Hitler“ bezeichnet.

Der „amerikanisierte“ Holocaust

Eine abwartende, auf Diplomatie setzende Politik wird häufig mit Worten wie „1938“ (Tschechoslowakei), „appeasement“ oder „München“ stigmatisiert und mit gegenwärtigen Bedrohungsbildern gleichgesetzt. Diese Rhetorik ist auch in den USA wirksam. Der Holocaust wurde „amerikanisiert“.

Er ist nicht nur zu einem wichtigen Bestandteil jüdischer Identität und evangelikaler Rhetorik geworden, auch neokonservative US-Politiker bedienen sich seiner. Israel erlangte im politischen Diskurs der USA dadurch eine quasi-sakrale Bedeutung, oft jenseits politisch-strategischer Interessen.

Saddam Hussein soll in US-Printmedien bis zum Kriegsbeginn (2003) 1170-mal mit Hitler verglichen worden sein. Ahmadinejad wird ähnlich wahrgenommen. Republikanische Präsidentschaftskandidaten wie Newt Gingrich und Mitt Romney oder die „Christians United for Israel“ bezeichnen ihn ebenfalls als „neuen Hitler“.

Netanjahu will „regime change“

Mitten im Wahlkampf attackieren Israels Premier Benjamin Netanjahu und seine Freunde in den USA Präsident Barack Obama, weil dieser „soft on Iran“ sei und nicht 150 Prozent hinter Israel stehe. Indirekt betreibt Netanjahu „regime change“ – in den USA.

Es gibt aber auch hier einige Widersprüche. Wenn Ahmadinejad ein genozidaler Antisemit ist, warum vergreift er sich dann nicht an den etwa 20.000 Juden im Iran?

Der Iran fühlt sich von US-Militärstützpunkten, Flugzeugträgern etc. umzingelt und von Israel bedroht. Israels Vizepremier Yaalon etwa erklärte, es sei möglich, sämtliche iranischen Atomanlagen anzugreifen. Sanktionen und die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler sollen Teheran zu Vergeltungsaktionen provozieren, die dann als Kriegsgrund ausgegeben werden könnten.

Atomanlagen zu bombardieren wäre nicht nur ein militärpolitisches Risiko, sondern könnte auch zu verheerenden Umweltfolgen führen. Eine Anlage etwa befindet sich bei Isfahan, einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern.

Der Iran ist heute sicher eine klerikale Diktatur, wie die brutale Niederschlagung der Grünen Bewegung nach der Wahlfälschung 2009 gezeigt hat. Das ist jedoch nicht der Grund für das Säbelrasseln. In seiner neueren Geschichte hat der Iran keine Angriffskriege geführt, er wurde – im Gegenteil – ab 1980 von Saddams Irak mit Krieg überzogen und hatte eine halbe Million Opfer zu beklagen.

Warnung vor Präventivschlag

Könnte das Regime nicht auch legitime Sicherheitsinteressen ins Treffen führen? Würde die Führung des Iran die Auslöschung des eigenen Landes riskieren wollen?

Und wie steht es mit Israel selbst? Fast die gesamte (frühere) Sicherheits- und Geheimdienstelite (Mossad) warnt vor unabsehbaren Folgen eines in Israel angedachten Präventivschlags. Andere warnen davor, die Gefahr zu übertreiben, weil dadurch potenzielle jüdische Einwanderer abgeschreckt und die Auswanderung qualifizierter Kräfte gefördert werden könnte – also das genaue Gegenteil des zionistischen Programms.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comJohn Bunzl ist Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) und (emeritierter) Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Israel/Palästina, Naher Osten, Islamophobie und Antisemitismus. Der Beitrag gibt nur seine persönliche Meinung wieder. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2012)

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