Entkrampfung, Versachlichung: Was Sebastian Kurz bisher gelungen ist

Gastkommentar: Der Integrationsstaatssekretär hat bisher viele positiv überrascht. Seinen zahlreichen Ankündigungen müssen aber noch Taten folgen.

Vorweg: Auch ich gehörte zu jenen, die der Bestellung von Sebastian Kurz zum Integrationsstaatssekretär in der Regierung sehr skeptisch begegneten. Zwar gehörte ich zu jenen, die die Schaffung eines Staatssekretariats für Integration schon seit Jahren gefordert hatten, war aber nicht sicher, ob Kurz der Richtige sei. Nicht sein junges Alter und fehlende Erfahrungen waren dabei maßgeblich für die Skepsis, viel eher war das bis zu seiner Bestellung fehlende Engagement in Integrationsfragen ausschlaggebend.

Über das Durchsetzungsvermögen von Sebastian Kurz wusste ich zu wenig. Doch seine Aussagen im Wiener Wahlkampf haben bei mir die Alarmglocken läuten lassen: Ein junger Kandidat sollte für Christine Marek die rechte Flanke abdecken und sich plötzlich um die Muslime und ihre Imame kümmern. Predigten in den Moscheen sollten nur noch auf Deutsch stattfinden dürfen und die Imame aus der Türkei sollten einen „Wertevertrag“ unterschreiben.

Irgendwie passte das ganz gut zur Integrationsdebatte der vergangenen Jahre, die dank der FPÖ eine rein islamfeindliche Debatte war. Zwar sank die ÖVP nicht auf das Niveau von „Daham statt Islam“ herab. Aber Aussagen von Landeshauptmann Erwin Pröll, wonach Minarette artfremd seien, oder die Islam-Studie der mittlerweile verstorbenen Innenministerin Liese Prokop über die nicht „integrationswilligen Muslime“ sind vielen noch in Erinnerung.

Spindeleggers neue Linie

In Vorarlberg hat der Landtag de facto ein Bauverbot für Minarette beschlossen, Gio Hahn wiederum hat noch als Wissenschaftsminister nicht nur ein Burka-, sondern auch ein Kopftuchverbot gefordert.

Doch die Wähler, die auf so etwas reflektieren, gingen zum Schmied und nicht zum Schmiedl. Und dies haben Gott sei dank viele in der ÖVP begriffen. Anscheinend wurde auch als neue Linie vom neuen Parteichef Michael Spindelegger vorgegeben, sich ernsthafter mit der Thematik zu beschäftigen.

Seitdem ist die Debatte sachlicher geworden, und die Situation hat sich entkrampft. Sebastian Kurz hat auch persönlich keine Ressentiments, durch seine Sozialisation kennt er viele muslimische Jugendliche und ist mit manchen auch gut befreundet.

Das Beispiel Angelo Soliman

Sich in die islamfeindliche Front einzureihen war plötzlich nicht mehr salonfähig in der ÖVP. Der VP-Obmann der Brigittenau, Gemeinderat Aigner, der noch zu den Anführern gegen die Atib-Moschee gehört hat, hat die Partei verlassen und sitzt jetzt als Klubunabhängiger eher bei den Freiheitlichen. Und der langjährige Präsident des Bauernbundes sowie Vizeklubchef der ÖVP im Parlament, Fritz Grillitsch, hat nach der Einladung von Thilo Sarrazin seine Funktionen inzwischen zurückgelegt.

Anfang 2010 brach dann auch noch der Arabische Frühling aus und stellte vieles auf den Kopf. Plötzlich haben diese „Araber und Muslime“ doch ihre Diktatoren davongejagt. Und muslimische Frauen, die bei uns gerne als nicht emanzipierte, Macho-hörige Geschöpfe angesehen werden, erwiesen sich als eine der Hauptstützen der arabischen Revolution.

Spätestens seit den dramatischen Ereignissen im vergangenen Sommer in Norwegen herrscht Konsens darüber, dass Rechtspopulisten, rechtspopulistische Politiker, Blogger und Publizisten ein Klima geschaffen und angeheizt haben, in dem bei einem Irren wie Andres Breivik die Idee reifen konnte, der „Moslemgefahr“ mit Gewalt begegnen zu müssen.

Robert Misik forderte zu Recht: „Isoliert die geistigen Brandstifter.“ Seit dem norwegischen Massaker weiß jeder, dass Islamfeindlichkeit kein Kavaliersdelikt bedeutet.

Integration durch Leistung ist die Devise, die Sebastian Kurz ausgegeben hat. Die Linken dagegen argumentieren, „Leistung statt Abstammung“ solle die Integrationsdebatte dominieren, aber die Rechten wollen Leistung als eine Vorleistung verstanden wissen. Deutsch vor Zuzug ist nur eine Facette davon. Die Rot-Weiß-Rot-Card ist für junge, gebildete und gesunde Menschen gedacht.

Wer bei der Integration jedoch allein auf Qualifikation und sozialen Aufstieg setzt, ohne sich gleichzeitig für gesellschaftlichen Wandel, Vielfalt, Akzeptanz von anderen und den Kampf gegen Rassismus einzusetzen, sollte sich kurz die Biografie von Angelo Soliman ansehen. Dieser Afrikaner stieg vom Sklaven zum fürstlichen Kammerdiener und Lehrer adeliger Kinder auf, wurde Freimaurer und Aktionär. Trotz Zwangs-Christianisierung und Taufe wurde er nach seinem Tod ausgestopft und neben wilden Tieren im Museum ausgestellt.

Vom Malus zum Bonus

Wir brauchen beide – sowohl die rationale wie auch die positiv geführte emotionale Debatte. Sebastian Kurz gilt für viele als jemand, dem eine Entkrampfung und Versachlichung der Debatte gelungen sei. Ohne die Rückendeckung seiner eigenen Partei wie auch des Koalitionspartners und auch der Medien hätte er aber kaum Chancen gehabt. Es ist Kurz auch von unserer Seite viel Erfolg zu wünschen, auch bei dem zuletzt gestarteten Dialogforum Islam. Es ist dabei nur zu hoffen, dass es nicht nach dem Muster der Islam-Konferenz in der Bundesrepublik Deutschland verlaufen und die Debatte ohne Euphemismen für Islamfeindlichkeit auskommen wird.

Sebastian Kurz ist für mich seinerzeit mit einem Malus ins Integrationsstaatssekretariat gestartet. Mittlerweile hat er durchaus Bonuspunkte verdient. Freilich warten wir weiter gespannt darauf, dass seinen vielen Ankündigungen auch konkrete Taten folgen. Denn von Ankündigungen und Marketing allein kann man nicht lange zehren.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comOmar Al-Rawi
(*8.5.1961 in Bagdad) ist Abgeordneter der SPÖ zum Wiener Landtag, Beauftragter für Integration bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und Vorstandsmitglied der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen. Seit 2000 ist er Betriebsrat der Strabag Bau-AG. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2012)

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