Ist im Namen der „Freiheit“ alles erlaubt im Cyberspace?

Die EU und auch Österreich haben sich dem Druck der Acta-Aktivsten gebeugt. Aber der Ratifizierungsstopp ist das falsches Signal.

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta) soll über EU-Grenzen hinweg ein wirksames Vorgehen gegen Verletzungen der Rechte an geistigem Eigentum ermöglichen, es sollte die geltenden EU-Standards über die Grenzen der Union hinaus „exportieren“.

Nun ist es auf Eis gelegt: Der EuGH wird jetzt prüfen, um schließlich zu bestätigen, dass die Inhalte des Acta-Abkommens schon seit 2004 geltendes EU-Recht sind und daher einer Ratifizierung nichts entgegensteht. Österreich will einstweilen abwarten. Die Ratifizierung ist damit auf ein bis zwei Jahre verschoben.

Die EU und die österreichische Bundesregierung beugen sich einer machtvollen Initiative von Aktivisten im Namen der „digitalen Freiheit“. Berichte über „zigtausend protestierende Menschen in ganz Europa“ haben sich in den vergangenen Wochen überschlagen. Mag sich auch ein erheblicher Teil der Proteste auf ein unterstützendes „Daumen hoch“ in sozialen Netzwerken beschränkt haben, die von den Organisatoren erzielte Öffentlichkeit ist bemerkenswert. Die Desinformation von Internetnutzern auch.

Längst geltendes EU-Recht

Acta sei ein Abkommen zur Bürgerüberwachung wurde verbreitet, es habe „erhebliche Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit, den Zugang zu Kultur und auf den Datenschutz“. Die Veröffentlichung eines Party-Schnappschusses der Freundin mit Cola-Dose in der Hand würde durch Acta zum kriminellen Delikt – wegen „Markenlizenzverletzung...“.

Tatsächlich wird das Recht am geistigen Eigentum inhaltlich durch Acta nicht verändert, alle wesentlichen Inhalte sind seit einer Richtlinie aus dem Jahr 2004 geltendes EU-Recht.

Vereinbart werden sollen internationale Standards, die eine wirksame Durchsetzung der bestehenden Rechte von Urhebern, Erfindern und Markeninhabern im „digitalen Zeitalter“ auch jenseits der EU-Grenzen – innerhalb derer diese Standards bereits gelten – ermöglichen: In ihren Rechten Verletzte sollen in allen Acta-Vertragsstaaten gerichtlich durchsetzen können, dass der überführte Verletzer zur Unterlassung und – wenn er schuldhaft gehandelt hat – auch zu Schadenersatz verurteilt wird. Eine vorsätzliche Verletzung von Urheberrechten soll in allen Vertragsstaaten unter Strafe gestellt sein.

Die Vertragsstaaten können vorsehen, sie müssen es aber nicht, dass eine zuständige Behörde Internetprovider verpflichtet, Auskunft über die Identität von Personen zu geben, unter deren IP-Adresse eine Urheberrechtsverletzung begangen wurde.

Der volkswirtschaftliche Schaden durch Piraterie ist enorm. Laut einer im Auftrag der Internationalen Handelskammer erstellten Studie entgingen Film-, Fernsehserien-, Tonträger- und Softwareproduzenten im Jahr 2008 durch Piraterie EU-weit Einnahmen von rund zehn Milliarden Euro. Dies entspricht laut Tera-Studie einem durch Piraterie verursachten Verlust von EU-weit 185.000 Arbeitsplätzen.

Dabei sind Folgeschäden noch gar nicht berücksichtigt: etwa, dass das faktisch bestehende (wenn auch zumeist illegale) Gratisangebot an Filmen, Musik und Büchern auch für andere Content-Produzenten zu einer Erosion des Geschäfts führt.

Wer sich daran gewöhnt hat, im Internet per Mausklick die zwanzig Euro für eine DVD oder eine CD zu sparen, der ist auch nicht mehr bereit, für andere qualitative Inhalte im Internet zu bezahlen.

Internet kein rechtsfreier Raum

Weil das Internet zum Massenverbreitungsmedium für jeglichen Content geworden ist, beschäftigen sich Gesetzgeber mit der Frage, wie man in diesem weltumspannenden Kommunikationsnetz erfolgreich und ohne unverhältnismäßige Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte der Bürger gegen Rechtsbrecher effizient vorgehen kann.

Rechtsbrecher können im Internet anonym und über Plattformen agieren, die in Staaten angesiedelt sind, welche bei der Rechtsdurchsetzung nicht kooperieren.

Dabei geht es bei Weitem nicht nur um das Urheberrecht: Internetbetrug, Kinderpornografie, Websites mit rassistischen und verhetzenden Inhalten – die Liste ist lang. Das Acta-Abkommen konzentriert sich auf den Schutz der Rechte am geistigen Eigentum – Urheberrecht, Patentrecht, Markenrecht – im Zeitalter des Internets.

Den Organisatoren der Acta-Proteste geht es in Wahrheit um etwas, was gar nicht Gegenstand von Acta ist: Sie kämpfen für die „Freiheit“, Schöpfungen anderer ohne deren Zustimmung nützen zu können. Wenn es aber diese Freiheit schon nicht gibt, so sollen wenigstens die bestehenden Verbote im Internet zahnlos bleiben, damit Täter nicht identifiziert werden können.

Jede Freiheit hat ihre Grenzen

Sie berufen sich dabei auf Grundrechte: Meinungs- und Kommunikationsfreiheit und Datenschutz. Das sind bedeutende Grundrechte, die zweifellos zu schützen sind. Auch und gerade im Internet-Zeitalter. Doch diese Rechte sind nicht schrankenlos. Denn jede Freiheit hat ihre Grenzen dort, wo die Freiheit des anderen beginnt – auch im Internet.

Dementsprechend besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass der Tausch von kinderpornografischem Material im Internet oder der Betrieb verhetzender Websites mit strafrechtlich relevanten Inhalten keine Verhaltensweisen sind, die im Namen der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit oder des Datenschutzes im Internet hingenommen werden müssen.

Vorsätzliche Urheberrechtsverletzung ist eine Straftat! Weshalb sollte die Durchsetzbarkeit der Rechtsordnung gerade zulasten jener Kreativen, die wertvolle Inhalte für das Internet schaffen, im Namen der „Freiheit“ außer Kraft gesetzt werden?

Wäre die österreichische Bundesregierung gerade in Zeiten wie diesen nicht besser beraten, sich für den Wirtschaftsstandort Österreich und bessere Rahmenbedingungen für die österreichischen Inhalte-Anbieter und die Kreativindustrie einzusetzen?

Erforderlich ist Aufklärung

Gerade im Bereich Urheberrecht gäbe es dafür großes Potenzial. Denn auch die Erlösmodelle, auf denen Europas Medienlandschaft fußt, können nicht mehr dargestellt werden, wenn geistiges Eigentum im Internet keinen materiellen Wert hat.

Die Sorgen vor allem vieler junger Menschen, die Acta ausgelöst hat, müssen zweifellos ernst genommen werden. Aber hier ist offenkundig Aufklärung erforderlich und nicht die Blockade der Ratifizierung eines ausverhandelten und unterfertigten internationalen Abkommens.

Eine Freiheit, sich über die Rechte anderer hinwegzusetzen, darf es nicht geben.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor

Hans Georg Gasser (* 5.8.
1950 in Villach) ist Präsident des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ), Vorstandsvorsitzender der WirtschaftsBlatt Verlag AG und Aufsichtsratsvorsitzender der Austria Presse Agentur (APA). Er war zuvor viele Jahre in mehreren deutschen Verlagsunternehmen tätig, 2003 wurde er Geschäftsführer der „Süddeutschen Zeitung“ in München. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)

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