Alles schon da gewesen: Eine kleine Korruptionsgeschichte

Von Müllner bis Lucona. Schon seit Jahrzehnten drängen im Schatten von Parteien und Regierungen neue Klassen nach Macht und Einfluss.

Mehr staunend und ratlos als wirklich empört betrachtet die Öffentlichkeit das sich täglich weiter entfaltende Bild des Netzwerks von Korruption zwischen der Telekom, einigen Politikern und einer schmierigen Halbwelt aus der Lobbying- und Beratungsbranche. Aus Absicht, aber auch infolge der Gesetzmäßigkeit der Medien wird das Schauspiel so inszeniert, als ob es all das, was man jetzt an grotesken bis abstoßenden Details erfährt, noch nie gegeben hätte.

Die politische Zielrichtung dabei ist durchsichtig: So etwas könne es eben nur unter der schwarz-blauen Regierung gegeben haben und diese dürfe sich nicht mehr wiederholen. Genauer noch: Die SPÖ darf nie mehr wieder von der Macht ausgeschlossen sein. Aber der etwas informiertere und auch selbstkritischere Bürger ahnt, dass das Bild so nicht ganz stimmen kann. Soll plötzlich die schiere Schlechtigkeit über ein bis dahin nur gutes und anständiges Land hereingebrochen sein?

Grundtugend Anständigkeit

Dass Anständigkeit eine österreichische Grundtugend sei, gehört ja zu den fixen Bestandteilen des nationalen Selbstbildes. Wobei anständig man immer selbst ist und unanständig immer die anderen, vor allem die Politiker – und im Zweifel alle von ihnen.

Dieses Selbstbild des Österreichers hat schon in den 1960er-Jahren ein mit einem Hang zum Sarkasmus begabter Politiker infrage gestellt: „Österreich ist ein Deutsch sprechender Balkanstaat, seine Korruption geht vom Volke aus“, merkte er an.

Das Diktum konstatiert einen Zusammenhang zwischen der Moral der Bürger und der ihrer politischen Vertreter. Es könnte geeignet sein, die grassierende Empörung über „die Politiker“ etwas zu mäßigen.

„Freunderlwirtschaft“ (ein vielsagendes Diminutiv des Wortes Freund), Korruption und dubiose Parteienfinanzierung: Womit sich jetzt der parlamentarische Untersuchungsausschuss beschäftigt, um den Komplex rund um die Telekom aufzuarbeiten – das kennt die Zweite Republik seit ihren Anfängen.

Ein erster spektakulärer Fall spielte sich bald nach dem Krieg in Niederösterreich um den Landesfinanzreferenten Viktor Müllner ab. Er war Landesrat und zugleich Generaldirektor der beiden Energieversorger des Landes, Newag und Niogas. Als Privatperson gründete er die Conti-Privatbank, als Finanzreferent veranlagte er dort Teile der Landesfinanzen zu künstlich niedrigem Zinssatz. Die Zinsdifferenz leitete er in die Kassen von ÖVP und ÖAAB. Müllner wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.

Die Summe von 46 Millionen Schilling, um die es ging, mag heute gering erscheinen, im Fall Müllner zeigt sich aber ein typisches Muster. Bei der ÖVP, die immer in Finanznöten ist, ging es meistens nicht um persönliche Bereicherung, sondern um Parteifinanzierung.

Eine neue, kriminelle Qualität hingegen zeigt eine Serie von Skandalen, die sich im Dunstkreis der SPÖ zu Zeiten von deren Alleinregierung in den 1970er- und 1980er-Jahren und danach abgespielt haben: Bauring (1,4 Milliarden Schilling Schaden bei Bauprojekten einer Wiener Wohnbaugesellschaft im arabischen Wüstensand); Sekanina (Gewerkschaftsgeld privat abgezweigt, aber durch tätige Reue straffrei geblieben); Noricum (illegale Waffenlieferungen an die Krieg führenden Länder Irak und Iran. SPÖ-Innenminister Karl Blecha musste zurücktreten.)

Später und noch in allgemeiner Erinnerung sind der Bawag-Skandal und als Beispielfall für sozialistische Misswirtschaft der Untergang des Konsum mit der schlagartigen Entlassung von 17.000 (!) Angestellten.

Die Mutter aller Skandale

Gewissermaßen die Mutter aller Skandale war aber der um den Neubau des AKH. 1955 war der Bau auf zehn Jahre angelegt und sollte eine Milliarde Schilling kosten. Schlussendlich dauerte der Neubau 37 Jahre und kostete 45 Milliarden Schilling. SPÖ-Mitglied Adolf Winter war die Zentralfigur in einem Netzwerk von Firmen, Beratern und Lieferanten, die kräftig an den Budgetmitteln partizipieren wollten.

Die Muster kommen einem bekannt vor: Schmiergeldkonten von Briefkastenfirmen in Liechtenstein, ein Finanzkarussell an Konten in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Letztendlich betrug der Schaden 500 Millionen Schilling, zwölf Manager wurden angeklagt und zu Strafen zwischen zwei und neun Jahren verurteilt.

Der Fall hatte auch eine wichtige politische Konsequenz: Bundeskanzler Bruno Kreisky entließ seinen vormaligen Kronprinzen Hannes Androsch, dessen Steuerberatungskanzlei für die AKH-Firmen tätig gewesen war, aus der Position des Vizekanzlers und Finanzministers.

Immer wieder in jener Zeit taucht bei wirtschaftlichen und politischen Korruptionsfällen im Dunstkreis der SPÖ der „Club 45“ des Geschäftsmanns Udo Proksch auf. Proksch trat 1972 in die Geschäftsführung der Hofzuckerbäckerei Demel ein. Er gründete mit dem Club 45 eine logenartige Vereinigung, die sich regelmäßig zu vertraulichen Zusammenkünften im 1. Stock des Demel traf. Die Mitgliederkartei liest sich wie das Who is Who der SPÖ bis hinauf zu Regierungsmitgliedern.

Gestolpert im Club 45

Proksch plante einen groß angelegten Versicherungsbetrug zu Lasten der ÖVP-nahen Bundesländer-Versicherung. Er charterte das Schiff Lucona, die Ladung bestand aus fast wertlosem Industrieschrott. Versichert wurde die Ladung jedoch auf 212 Millionen Schilling. Das Transportgut war als Uranaufbereitungsanlage deklariert. Mittels Zeitzünder und Sprengstoffs aus Bundesheerbeständen wurde die Lucona im Pazifik gesprengt. Dabei sank nicht nur das Schiff inklusive Ladung, sondern es kamen auch sechs Besatzungsmitglieder um.

Nachdem sich die Bundesländer-Versicherung geweigert hatte, die Schadenssumme zu zahlen, kam der Skandal auf. Insgesamt zog sich die Aufklärung der Affäre 15 Jahre hin. Es wurde die Involvierung der Club-45-Mitglieder und SPÖ-Minister Leopold Gratz und Karl Blecha ans Licht gebracht, die zurücktreten mussten. Proksch starb im Gefängnis.

Ähnlich wie die FPÖ in der schwarz-blauen Regierung kam unter Kreiskys Alleinregierung eine neue Klasse zu Macht und Einfluss, die entschlossen war, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Im Schatten der SPÖ etablierte sich in Gesellschaft, Kultur, Staat und in der damals noch größtenteils verstaatlichten Wirtschaft eine Schicht von Leuten, die die Nähe zur SPÖ zum persönlichen Aufstieg und zur schlichten Bereicherung benutzten. Der Club 45 hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Telekom-Netzwerk.

Meisterhafte Strategie

In einer meisterhaften Strategie ist es der SPÖ jetzt gelungen, unter kräftiger Mithilfe des ORF und anderer Medien die ÖVP als die eigentliche und einzige korrupte Partei erscheinen zu lassen. Der Untersuchungsausschuss ist auch schon als Teil des Vorwahlkampfs angelegt. Allerdings dürfte der SPÖ mittlerweile dämmern, dass sie am Untergang der ÖVP kein Interesse haben kann. Der überaus pflegliche Umgang des Bundeskanzlers mit seinem Koalitionspartner in der letzten Zeit deutet darauf hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2012)

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