Notorische Gesetzesbrecher

Die israelische Siedlungspolitik ist völkerrechtswidrig und das Haupthindernis für jede politische Lösung.

An der Feststellung, dass Israel mit seiner Siedlungspolitik jegliche politische Lösung des Nahost-Konfliktes blockiert, führt kein Weg vorbei. Daran ändert auch jede noch so theatralische Erregung der israelischen Regierung nichts.

Israels Reaktion auf den jüngsten Beschluss des UN-Menschenrechtsrats, eine Kommission zu entsenden, um die Folgen der seit 45 Jahren betriebenen Besiedlung besetzten palästinensischen Territoriums zu analysieren, war so wie immer: hysterische Proteste, Drohungen, schließlich konkrete „Strafmaßnahmen“ gegen die Palästinensische Autonomie wie Einbehaltung von Steuereinnahmen.

Zu den üblichen israelischen Argumentationsmustern gehören auch Vorwürfe gegen Staaten, die israelkritische Beschlüsse unterstützen (wie zuletzt auch Österreich): Man diffamiert sie als einseitig, antiisraelisch, mitunter sogar antisemitisch. Dazu kommt eine absolute Geringschätzung der Vereinten Nationen.

Letzteres entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, verdankt Israel als einer von wenigen Staaten der Welt seine völkerrechtliche Existenz einem Beschluss der UNO. Zudem gibt es wohl kaum ein anderes UN-Mitglied, das derart notorisch und provokant UN-Beschlüsse ignoriert. Würde es sich nicht um Israel handeln, wären längst massivste internationale Boykottmaßnahmen in Kraft.

Gigantischer Landraub

Daher sei in Erinnerung gerufen. Erstens: Die nach dem Sechstagekrieg 1967 begonnene Besiedlung besetzten palästinensischen Territoriums ist illegal und verstößt gegen zahlreiche Bestimmungen des Völkerrechts. Diese Tatsache ist in zahllosen UN-Resolutionen dokumentiert.

Zweitens: Nach den letzten verfügbaren Zahlen leben derzeit 498.000 israelische Siedler im Westjordanland. Seit Amtsantritt der israelischen Ultrarechtsregierung ist die Siedlungstätigkeit sprunghaft angestiegen (von 2009 auf 2010 um das Zweieinhalbfache!), ebenso wie auch die gewaltsamen Übergriffe rechtsradikaler Siedler.

Drittens: Angesichts des gigantischen Ausmaßes dieser Landnahme (man sollte eher von Landraub sprechen), die eine Realisierung der sogenannten Zweistaatenlösung kaum mehr möglich erscheinen lässt, ist es nur allzu verständlich, dass die Siedlungspolitik von den Palästinensern als die entscheidende Frage in „Friedensverhandlungen“ betrachtet wird.

Dies wird von den Israelis, die eine Rückkehr zu den einzigen völkerrechtlich vertretbaren Grenzen von 1967 strikt ablehnen, ignoriert. Israels Regierung hat nicht einmal den zunächst von US-Präsident Barack Obama geforderten Siedlungsstopp als Vorbedingung für ernsthafte Verhandlungen respektiert.

Angesichts der Arroganz Israels und der Zurückhaltung der USA ist es nur allzu verständlich, dass sich die Palästinenser verstärkt der letzten völkerrechtlichen Autorität, eben den Vereinten Nationen, zuwenden. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die internationale Staatengemeinschaft irgendwann einmal die notorischen Gesetzesverletzungen Israels nicht mehr ohne Weiteres gefallen lässt.

Fritz Edlinger ist Generalsekretär der „Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen“ und Herausgeber der Zeitschrift „International“.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2012)

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