Eine stärkere Stimme für Europas Bürger

Es gibt kein Patentrezept für den Weg aus dieser Misere. Klar ist jedoch: Die Stimme der Menschen in Europa muss gestärkt werden.

Woran liegt es, dass heute so viele Menschen in der EU das Problem, aber nicht die Lösung sehen? Warum nehmen die Österreicher die vielen Vorteile, die ihnen Europa Tag für Tag bringt, als selbstverständlich an und haben trotzdem ein tiefes Misstrauen gegen die EU? Wieso sind wir so schnell bereit, alles Gute uns selbst zuzuschreiben, das Schlechte aber auf Brüssel zu schieben?

Offensichtlich liegt bei unserem Verhältnis zur EU einiges im Argen. Das ist kein rein österreichisches Phänomen. Ich habe deshalb für heute eine Gruppe von Außenministern, die sich auf Initiative meines deutschen Kollegen, Guido Westerwelle, zusammengefunden hat und denen das gemeinsame Europa ein Anliegen ist, zu einem Treffen nach Wien eingeladen.

Ich mache mir nichts vor: Der Befund wird uneinheitlich sein, und es gibt kein Patentrezept für den Weg aus dieser Misere. Klar ist jedoch: Die Stimme der Menschen in Europa muss gestärkt werden. Mit der Erfindung neuer Partizipationsrituale ist es nicht getan. Ich möchte eine Mitwirkung an tatsächlichen Entscheidungsvorgängen. Für mich kommen vor allem zwei Punkte infrage.

Erstens sollte die Bevölkerung ein direktes Mitspracherecht bei der Besetzung der europäischen Spitzenfunktionen haben. Was spricht eigentlich dagegen, den Kommissionspräsidenten durch eine europaweite direkte Wahl zu bestellen? Diese Wahl könnte zeitgleich mit jener zum Europäischen Parlament stattfinden, da die Amtszeit der Kommission ohnehin der fünfjährigen Legislaturperiode des Parlaments angepasst ist.

Die Vorteile einer Direktwahl: Für die Bürger bekommt Europa ein Gesicht. Der Kommissionspräsident, und mit ihm seine Kommissare, wäre viel deutlicher als bisher Europa und seinen Bürgern verantwortlich. Nicht zuletzt würden Europawahlen so zu einer Auseinandersetzung von Personen und ihren Programmen wie in nationalen Wahlkämpfen werden.

Zweitens sollte das Europäische Parlament weitgehend mit nationalen Parlamenten gleichgestellt werden. Warum sollte es im EU-Gesetzgebungsverfahren kein umfassenderes Vorschlagsrecht des Europäischen Parlaments geben? Ich denke hier zumindest an die Polizei- und Justizzusammenarbeit oder an jene Fälle, in denen ein Europäisches Volksbegehren die EU zum Handeln aufgefordert hat. Wichtig ist, dass es nicht darum geht, das Initiativmonopol der Kommission in den Kernbereichen der europäischen Integration anzutasten, aber schon heute verfügen die Mitglieder stellenweise über ein, mit der Kommission geteiltes, Vorschlagsrecht. Das Parlament würde mit einem Initiativrecht verantwortungsvoll umgehen.

Eine stärkere Stimme in Europa haben, mitreden, mitbestimmen – das setzt ein gewisses Maß an Grundwissen voraus. Seit meinem Amtsantritt als Außen- und Europaminister ist es mir ein Anliegen, den Menschen zuzuhören, mit ihnen zu diskutieren und über Europa besser zu informieren. Ich will einen Schritt weiter gehen. Ich werde ab Juni eine Serie von „Townhall Meetings“ zum Thema Europa starten. Damit werden wir den Diskussionsfluss umdrehen. Die Impulse werden dabei von den Bürgern ausgehen. Und die Politik wird Rede und Antwort stehen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2012)

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