Sarrazin: Dieser liberale Euro-Traum ist leider im Augenblick ausgeträumt

Umstrittener Auftritt Sarrazins in Dresden
Umstrittener Auftritt Sarrazins in Dresden(c) dapd (Joern Haufe)
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Gastkommentar. Diesem Geraune von Scheitern und Endzeitgeschehen setze ich eine ganz pragmatische These entgegen: "Europa braucht den Euro nicht."

In den komplizierten Fragen um die Währungsunion dient zu viel europäische Gefühligkeit nicht der geistigen Klarheit. Die Aussage „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ hat zwar einen emotionalen und fundamentalen Charakter, das ist ja auch beabsichtigt. Gleichzeitig aber ist sie extrem unscharf: Was genau ist in diesem Zusammenhang „Europa“, und was sind die Maßstäbe, an denen man sein „Scheitern“ misst? Sind die Briten, Schweden, Polen, Tschechen keine Europäer, oder leben sie in gescheiterten Staaten, nur weil sie nicht mit dem Euro zahlen? Gibt es in Süditalien und auf dem Peloponnes blühende Landschaften, nur weil dort der Euro die Währung ist?

Diesem Geraune von Scheitern und Endzeitgeschehen setze ich eine ganz pragmatische These entgegen: „Europa braucht den Euro nicht.“ Wie kann es sein, dass der ganze europäische Wiederaufbau seit 1945, der gewaltigste Wohlstandszuwachs der Menschheitsgeschichte und eine der längsten Friedensperioden, die es je in Europa gab, 60 Jahre lang weder eine gemeinsame Währung zur Voraussetzung hatten noch die Notwendigkeit mit sich brachten, für die Staatsschulden anderer Länder aufzukommen? Plötzlich aber sollen Wohlstand und Friede in Europa nur möglich sein, wenn es nicht nur eine gemeinsame Währung gibt, sondern auch eine gemeinsame Staatskasse, bei der am Ende jedes Land für die Rechnungen aller anderen bürgt?

Staatenlenker reagieren nur

Der Verdacht drängt sich auf: Hier wird politisch mit großen Scheinen gewedelt, weil es im politischen Austausch und beim sachlichen Argument an werthaltiger kleiner Münze mangelt. Aber es ergibt auch keinen Sinn, sich billig über jene zu erheben, die in ihrer Argumentationsnot zu großen Worten greifen.

Der bedrückende Eindruck im Frühling 2012 ist: Das Projekt „Europäische Währungsunion“ entwickelt sich nach einer Eigengesetzlichkeit, die auch die Staatenlenker und ihre Berater kaum durchschauen. Sie bestimmen nicht den Kurs, sondern reagieren bestenfalls, und Angela Merkel, deren Stimme sich genauso wie die der freundlichen Frau im Navigator meines Autos anhört, scheint auch exakt diese Funktion wahrzunehmen: Wenn ich offenbar falsch gefahren bin, höre ich für einige Zeit „Wenn möglich, bitte wenden“, und dann, wenn die Abweichung sich vergrößert hat, höre ich „Bitte links abbiegen“. Hat der Wagen das kartografierte Gelände verlassen, meldet die freundliche Stimme: „Das Ziel liegt in der angegebenen Richtung.“

Bei meinem Auto weiß ich, dass die freundliche Stimme keinen Einfluss auf den Kurs des Wagens hat, sondern nur den Sachstand vermeldet. Ich befürchte, bei der Entwicklung der Währungsunion könnte es ähnlich sein.

In einem bemerkenswerten Gespräch mit Günther Jauch sagte Angela Merkel auch recht klar, dass sie bei den Entscheidungen zum Euro quasi auf Sicht fährt, so, wie die Situation des Tages es nahelegt. Eine strategische Kursbestimmung ist da allenfalls auf der allerhöchsten (und abstrakten) Wertebene erkennbar. Tatsächlich überlagern sich viele Fragen, die schon je für sich kaum eindeutig zu beantworten sind bzw. je nach Präferenz und Werturteil ganz unterschiedliche Antworten zulassen: Wie soll das staatliche Gefäß des gemeinsamen Europa letztlich beschaffen sein – ein Europa der Vaterländer mit einem gemeinsamen Markt und intern offenen Grenzen oder ein europäischer Zentralstaat mit strikter Fiskalkontrolle über seine Glieder? Welche Vorteile hat ein Vereinigtes Europa in einer immer stärker bevölkerten Welt? Gibt es vielleicht auch Nachteile?

Hat die Europäische Währungsunion eingebaute Web- und Denkfehler, und wo liegen diese? Oder handelt es sich um eine gute Konstruktion, die lediglich unsachgemäß bedient wurde? Ist die Globalisierung und Integration der weltweiten Güter- und Finanzmärkte zu weit gegangen, sodass die weltweiten Entscheidungszusammenhänge zu komplex werden und damit die Ganglinie der Weltwirtschaft zu unbeherrschbar? Oder fehlt es lediglich an der richtigen Regulierung der internationalen Finanzmärkte, und wie könnte diese aussehen? Welche grundsätzlichen Fehler haben zur großen Finanzkrise 2007–2009 geführt, und was hat man daraus gelernt bzw. was kann man daraus lernen?

USA und die Schweiz als Vorbild?

Weshalb gelten manche Staaten der Eurozone als insolvenzgefährdet, Länder wie Großbritannien oder die Türkei, die im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft viel mehr Schulden machen, dagegen nicht? Woher nimmt man den Optimismus, man könne auf europäischer Ebene durch Zuckerbrot und Peitsche das Finanzgebaren von Griechenland oder Italien in den Griff bekommen, wenn derartige Disziplinierungsversuche schon innerhalb von Nationalstaaten scheitern, wie das Beispiel der süditalienischen Regionen in Italien oder einiger Bundesländer in Deutschland zeigt? Machen Staatshaushalte generell zu viele Schulden, und kann eine gesetzliche Schuldenbremse helfen? Würde eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzregierung die Europäische Währungsunion stabiler machen, und was bedeutet das eigentlich? Was lehren uns die Beispiele traditionsreicher und stabiler Bundesstaaten wie der USA und der Schweiz?

[. . .] Als ich 1996 mein schon erwähntes Buch über den Euro veröffentlichte, hatte ich die Arbeit daran als Skeptiker begonnen und als Befürworter beendet. Ich war beeindruckt von den kolossalen fiskalischen Anstrengungen, die Italiener, Franzosen und andere begonnen hatten. Und ich setzte darauf, dass der Haftungsausschluss für Staatsschulden anderer Mitgliedstaaten genügend Disziplin freisetzen würde, weil ja die „Sünder“ durch höhere Zinsen bestraft werden. Dieser liberale Euro-Traum ist leider im Augenblick ausgeträumt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2012)

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