Eine Volkspartei muss den Wandel gestalten und ihn nicht beklagen

Das Österreich der Zukunft wird älter, bunter, weiblicher sein. Parteien, die erfolgreich sein wollen, müssen dem Rechnung tragen.

Ist die „Österreichische Volkspartei“ noch eine Volkspartei? In Umfragen dümpelt sie seit der letzten Nationalratswahl vor vier Jahren bei Werten unter 25 Prozent dahin. Von ihrem Ziel, bei der nächsten Wahl in gut einem Jahr auf über 30 Prozent zu kommen, ist die Partei weit entfernt.

Werte bei Umfragen und Wahlen interessieren vor allem Politiker und ihre Berater. Für die Wähler wichtiger ist die Frage, für welche Ziele und Werte eine Partei und ihr Personal insgesamt stehen. Die Bürger wissen und fühlen, wann eine Partei auf der Höhe der Zeit ist, der Zeit hinterherhinkt oder ihre beste Zeit längst hinter sich hat. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, besagt eine Volksweisheit.

Die Angst vor der Zukunft ist das dominierende Gefühl der Menschen. Der Satz „Unsere Kinder werden es einmal besser haben als wir“ gilt längst nicht mehr. Finanzkrise, demografischer Wandel und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft haben den Glauben an eine bessere Zukunft fundamental erschüttert.

Diese Erschütterung trifft die ÖVP härter und nachhaltiger als SPÖ und FPÖ, die im Zweifel für einen Besitzstand wahrenden Status quo stehen. Eine wertorientierte Volkspartei muss dagegen immer auch die Interessen künftiger Generationen – altmodisch gesprochen: das Gemeinwohl – im Blick haben.

Parteien, „die sich kümmern“

Die Geschichte Österreichs zeigt, dass immer diejenigen Parteien die Wahlen gewannen, die in ihren inhaltlichen Konzepten die in der Bevölkerung jeweils vorhandenen Grundströmungen auffingen und politisch artikulierten: soziale Marktwirtschaft und Europa (ÖVP), innere Reformen und Umverteilung (SPÖ). Das Vertrauen der Menschen bekommen die Parteien und Politiker, die den Eindruck erwecken, dass sie sich „kümmern“, Konzepte gegen die Zukunftsangst besitzen und „nahe bei den Menschen“ sind.

Seit Jahren schwindet das Vertrauen der Österreicher in SPÖ und ÖVP. Aus ihrer Sicht haben beide Parteien die Problemlösungskompetenz für die große Frage der Zeit verloren: Wie können wir human und zukunftsgewiss bleiben in einer zunehmend dynamischen Welt?

Vor einer großen Transformation

Klimawandel, demografischer Wandel und Finanzkrise erfordern neue Antworten auf diese Frage, an deren Ende eine große Transformation steht. Was früher die soziale Frage war (Arbeit versus Kapital), ist heute eine Überlebensfrage der Menschheit. Antworten kann es nur mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung geben und nicht gegen sie.

Eine moderne Christdemokratie sieht ihren Auftrag im aktiven Gestalten der Veränderungen und nicht im Beklagen dessen, was nicht zu ändern ist. Das Österreich der Zukunft wird älter, bunter und weiblicher sein. Mehr Ältere stehen weniger Jüngeren gegenüber. Aufgefangen werden kann die demografische Lücke, wenn es gelingt, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Zuwanderern zu erhöhen. Nachhaltiges Wachstum in einer altersbunten Gesellschaft ist die Herausforderung der nächsten Jahre.

Wofür braucht es für die große Transformation die ÖVP? Eine Volkspartei passt immer dann besser in die Zeit, wenn sie es versteht, ihre Wertorientierungen zeitgemäß auszulegen und anzupassen. In Zukunft haben jene Parteien einen Vorteil, die ein Klima des Vertrauens schaffen und eine Aura, die vermuten lässt, dass sie das Ganze im Blick haben und nicht nur einseitige Interessen vertreten. Personen, Politik und die Aura der Zukunftsgerechtigkeit sind die neuen Formeln zur Macht.

Daniel Dettling ist Politikberater in Berlin und Wien und leitet das Institut für Zukunftspolitik.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2012)

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