Die Krise des Interventionismus

Der Interventionismus führt Schritt für Schritt von der freien Marktwirtschaft zur Planwirtschaft, von Wohlstand zur Armut, von der Freiheit zur Knechtschaft.

M
it seiner Brandrede gegen den "asozialen" Kapitalismus löste der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering eine hitzige Debatte über das Wesen des Kapitalismus aus, die seither die deutsche Öffentlichkeit in Atem hält. Unter heftiger Akklamation finden längst totgeglaubte Klassenkämpferparolen wieder ihren Weg in die Reden von Politikern aller Couleur. Spätestens mit Michael Scharangs anti-kapitalistischem Pamphlet "Kult um das Kapital" (Spectrum, 2./3. Dezember) erreichte die Diskussion Österreich. Es ist (wieder) en vogue, jedes erdenkliche Übel dem Kapitalismus und seiner Zwillingsschwester, der Globalisierung, in die Schuhe zu schieben. Wer "in" sein möchte, ist heute betont national und "sozial".

Allein, der ungezügelte Kapitalismus ist in Westeuropa nicht (mehr) zu finden. In den letzten fünf Jahrzehnten, besonders seit den 1970ern, wurde der Kapitalismus (die Ursache unseres Wohlstandes) bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Diese Entwicklung ist keineswegs überraschend, denn der Versuch einen "Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu implementieren, muss notwendigerweise scheitern.

Dies liegt im Wesen des Interventionismus. Jeder noch so kleine Eingriff in das Preissystem bedingt weitere Eingriffe, da die Konsequenzen der Intervention diametral zu den von der Politik gesetzten Zielen stehen. So verursachen gesetzliche Mindestpreise über dem Marktpreis Arbeitslosigkeit und Überproduktion statt höherer Reallöhne und einer effizienteren Produktionsstruktur. Gesetzliche Höchstpreise unter dem Marktpreis führen hingegen zu (Wohnungs-)Mangel und Wartelisten statt billigeren Waren für alle.

Mit ein klein wenig ökonomischem Grundwissen wären diese Entwicklungen zwar schon im Vorhinein abzusehen, aber gute Intention zählt im politischen Diskurs offenbar mehr als redliche Wirtschaftspolitik. Wenig überraschend werden zur Abfederung der ungewünschten Ergebnisse weitere (wachstumshemmende) Eingriffe befürwortet; vom geförderten Wohnbau über staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis zur Rationierung bestimmter Produkte. Derart führt der Interventionismus Schritt für Schritt von der freien Marktwirtschaft zur Planwirtschaft, von Wohlstand zur Armut, von der Freiheit zur Knechtschaft.

Gerade die angeblich marktfreundliche ökonomische Theorie bietet den Interventionisten jedweder Façon einen reichen Fundus, um ihre Partikularinteressen in das akademische Kleid der Objektivität zu stecken. Daher ist es wenig überraschend, dass sich der Keynesianismus und die sogenannte "Theorie des Marktversagens" auch auf den österreichischen Universitäten größter Beliebtheit erfreuen. Ersterer legitimiert die unbeschränkte Schuldenmacherei des Staates, letztere versetzt aufgrund ihrer realitätsfernen Annahmen der freien Marktwirtschaft den mikroökonomischen Todesstoß.

Ersterer führt geradewegs in die (Hyper-)
Inflation, die zweifelsohne die vom Staat zur Wirtschaftsankurbelung aufgenommen Schulden "tilgen" lässt, nicht aber ohne in einem Aufwaschen die Basis unseres Wohlstands, den mühsam angesparten Kapitalstock, zu zerstören. Letztere rechtfertigt nahezu jede Intervention: Preise zu hoch - Marktversagen, Preise zu niedrig - Marktversagen; zu wenig Wettbewerb - Marktversagen, zu viel Wettbewerb - Marktversagen; zu wenig Konsum - Marktversagen, zu viel Konsum - Marktversagen usw.

Die Folge: Regulierungen, Beschränkungen und Gesetze, wohin man blickt. Es gibt nichts, was nicht reguliert ist. Allein der Acquis communautaire umfasst mehr als 80.000 Seiten, die Gewerbeordnung bringt es auf stolze 382 Paragrafen, das Arbeitsrecht auf sage und schreibe 138 verschiedene Gesetze, und ob ein Supermarkt am Sonntag offen gehalten werden darf oder nicht, hängt von einer willkürlichen Quadratmeterzahl ab. Wo sind die Zeiten, als jeder Mensch, unabhängig von seiner Nationalität, mit dem Arbeitgeber einen für beide Seiten akzeptablen Arbeitsvertrag aushandeln konnte, wie es Stefan Zweig in der "Welt von Gestern" beschreibt? Aber nein, hier begegnen wir ja schon dem angeblich nächsten Marktversagen: der ungleichen Einkommensverteilung.

Was ist zu tun? Die durch den Interventionismus hervorgerufene Verwerfung der Wirtschaftsstruktur bedarf einer Anpassung, um die Produktion wieder in Einklang mit den Präferenzen der Konsumenten zu bringen. Selbst weitreichende Deregulierungen, Privatisierungen und Liberalisierungen können diesen schmerzvollen Prozess keineswegs verhindern.

Trotzdem besteht zu den Rezepten des Laisser-faire keine realistische Alternative, weil weitere Interventionen, wie sie von den Kapitalismuskritikern gefordert werden, trotz gegenteiliger Auffassung die Krise nicht verhindern können, sondern als deren Verursacher nur verschlimmern. Müntefering, Scharang & Co. liegen mit ihren Einschätzungen fehl, wenn sie in der aktuellen Krise eine Krise des Kapitalismus zu erkennen glauben. Nunmehr beginnt auch Österreich die Ernte des Interventionismus einzufahren, die die kurzsichtige Politik seit Jahrzehnten sät.

Gregor Hochreiter studierte Volkswirtschaft an der Universität Wien und European Studies in Aalborg (Dänemark). Er betreibt die Website liberty.li.

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