Österreichs Sicherheitspolitik ist auf die Krankenwägen gekommen

Die Nato wurde in der Volksbefragungs-Debatte ausgeblendet. Dabei müsste man sie erfinden, gäbe es sie nicht schon lange.

Zu hoffen war, dass im Vorfeld der gestrigen Volksbefragung in Österreich endlich einmal breit über Sicherheitspolitik im Allgemeinen, die militärische im Besonderen diskutiert wird. Und was ist bei dieser Diskussion herausgekommen? „Ich soll also für die Wehrpflicht stimmen, damit Krankenwägen rechtzeitig am Unfallort eintreffen“, wie Hubert Feichtlbauer in seinem Gastkommentar in der Samstagsausgabe der „Presse“ die ganze Absurdität der österreichischen sicherheitspolitischen Debatte so treffend auf den Punkt brachte. An Oberflächlichkeit und Jämmerlichkeit war die „Kontroverse“ der beiden Regierungsparteien über Wehrpflicht oder Berufsheer wirklich nur schwer zu übertreffen.

Dabei bleibt Sicherheitspolitik eine ernste, ja todernste Angelegenheit. Da mögen heimische Politiker oder „Experten“ noch so ungeniert weiter die Leute irreführen, dass Österreichs Sicherheit ja eigentlich eh keine Gefahr von außen drohe. Etwa darum, weil wir – bis auf ein paar Dutzende Kilometer im äußersten Westen – ohnehin von Nato-Mitgliedern umgeben sind? So, wie die Leute seit Mitte der 1950er-Jahre über den sicherheitspolitischen Stellenwert der österreichischen Neutralität angelogen worden sind: Nie hat die Politik der Bevölkerung reinen Wein eingeschenkt. Nämlich, dass wir uns unser „Insel-der-Seligen-Dasein“ zwischen Ost und West überhaupt nur leisten konnten, weil es einen – nicht deklarierten – Nato-Schutzschirm auch für das neutrale Österreich gab! Dafür wurde umso mehr jahrzehntelang Stimmung gegen diese Nato gemacht. In Wahrheit ging es natürlich gegen die Amerikaner.

Und die heutige Nato? Braucht es dieses Verteidigungsbündnis noch? Oder gehört es, 23 Jahre nach dem Ende des Warschauer Paktes, auch endlich aufgelöst? Der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt soll sich in diesem Sinne geäußert haben. Und der frühere „Zeit“-Chefredakteur Theo Sommer betitelte ein Buch über den Nordatlantikpakt: „Diese Nato hat ausgedient.“ Mitnichten, weist Klaus Naumann, früherer Generalinspekteur der Bundeswehr und einstiger Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, solche vorzeitige Todesanzeigen vehement zurück: Das westliche Bündnis sei wertvoller denn je, „die Nato ist unverzichtbar für die Sicherheit in Europa und der Welt“, schreibt er in der Ausgabe 1/2013 der deutschen außenpolitischen Fachzeitschrift „Internationale Politik“.

Auch Naumann sieht „gewaltigen Reformbedarf“, wenn man das moderne Gestaltungsprinzip einer „vernetzten Sicherheit“ wirklich ernst nehmen wolle. Aber für diese Reformen brauche es Zeit und ein sicheres Umfeld – „und das bietet die heutige Nato“: weil sie die USA sicherheitspolitisch weiter an Europa binde; weil sie eine Versicherung gegen das autoritär regierte und unberechenbare Russland darstelle; weil sie zentrifugale Tendenzen weg von Europa in der Türkei und in Großbritannien konterkariere; weil mit neuen Sicherheitsbedrohungen – etwa durch Klimawandel, Überbevölkerung, ungelöste territoriale, ethnische und religiöse Konflikte, Ressourcenmangel, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, kriminelle und terroristische Nutzung des Cyberspace oder asymmetrische Kriegsführung – weder Europa noch die USA (die schon eher) allein fertig werden könnten.

Gäbe es die Nato nicht schon, glaubt Naumann, müsste man sie angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen neu erfinden. In offiziellen österreichischen Ohren klingen solche Worte des früheren Generals gewiss ketzerisch: „Nato, pfui Teufel! Za wos brauch ma des...“ Wie lang wird sich Österreich das Kopf-in-den-Sand-Stecken in der Sicherheitspolitik wohl noch leisten können?

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2013)

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