Wie Ungarn seine Freunde und Kritiker gleichermaßen verstört

Ein Wiener jüdisches Magazin geht dem Antisemitismus in Ungarn nach. Der Befund fällt keineswegs eindeutig aus.

Ungarn – besser: die ungarische Politik verstört, irritiert, gibt Rätsel auf. Die scharfe Polarisierung zwischen rechts und links hat sich inzwischen über die Landesgrenzen ausgebreitet, die Exil-Ungarn sind eh schon länger von dieser politischen Streitsucht angesteckt. Aber auch jeder Nicht-Ungar, der sich aus beruflicher Neugier oder aus Sympathie mit dem Land befasst, wird in den Strudel des Entweder-oder hineingezogen: Lobpreist du Viktor Orbáns Regierung und bist damit ein Freund Ungarns? Oder kritisierst du Orbán und bist damit ein Feind Ungarns? Dazwischen gibt es nicht viel Platz. So einfach ist das mit dem heutigen Ungarn.

So einfach ist es natürlich nicht – es sei denn, man akzeptiert von vornherein das primitive Freund-Feind-Schema. Aber natürlich bietet auch Orbáns Ungarn kein klares Schwarz-Weiß-Bild, sondern allerlei Grau- und andere Zwischentöne. Das zeigt auch der Ungarn-Schwerpunkt im Aprilheft des von der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde herausgegebenen Stadtmagazins „Wina“.

Da gibt es etwa den nach Deutschland ausgewanderten Rabbiner Joel Berger, der in einem Interview behauptet, „Rassismus, Antisemitismus und Minderheitenfeindlichkeit“ gehörten zum „ureigenen ungarischen Ego“. Aber da ist auch ein Gespräch mit Péter Feldmájer, dem Präsidenten der jüdischen Gemeinden in Ungarn, abgedruckt, der erklärt: „Die Fidesz-Regierung von Premier Orbán hegt keine antisemitischen Gefühle.“ Feldmájer berichtet auch, dass es „in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr als fünf bis zehn tätliche Angriffe“ gegen Juden gegeben habe – immerhin 80.000 bis 100.000 Juden leben heute noch in Ungarn.

Die Soziologin Èva Judit Kovács wiederum erklärt in einem weiteren in „Wina“ abgedruckten Interview, der Antisemitismus in Ungarn sei in den letzten 20 Jahren „nicht stärker, jedoch offener und aggressiver“ geworden. Jedenfalls gewinnt man auch bei der Lektüre dieses Heftes den Eindruck, dass das Urteil von Außenstehenden über Ungarns innere „Zustände“ viel schärfer ausfällt als von den nach wie vor dort Lebenden. Das könnte natürlich damit zusammenhängen, dass die unmittelbar Betroffenen aus einer gewissen Angst heraus „milder“ urteilen. Oder aber sie sagen ihre Wahrheiten, die mit Beobachtungen von außen nicht übereinstimmen.

Nationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus sind auch sicher keine explizit ungarischen Phänomene. Es ist nur verwunderlich, dass sich die nationalistische Hasswelle europaweit gerade in einer Phase verstärkter Integrationsbemühungen so hoch auftürmt – oder vielleicht gerade deswegen? Die Vierteljahreszeitschrift „Europäische Rundschau“ will in einer Serie untersuchen, ob gerade in Mittel- und Osteuropa eine Renationalisierung die Europäisierung ablöst. In der Nummer I/2013 wird diese Frage anhand der Beispiele Albanien, Rumänien, Tschechien, Slowakei und Russland untersucht.

Gerfried Sperl wiederum widmet dem Populismus in seiner Zeitschrift „Phoenix“ (1/2013) einen Schwerpunkt, womit auf eine weitere Publikation im Segment österreichischer politischer Qualitätszeitschriften hingewiesen sei. Sperl hat zum Thema selbst den Hauptessay und drei Interviews beigetragen, die einige diskussionswürdige Thesen enthalten; etwa jene der Bildungsexpertin Ada Pellert, wonach es die ausbleibende Demokratisierungswelle gewesen sei, die Phänomene wie HC Strache oder Frank Stronach erst ermöglicht habe. Der interessanteste Text in dem Heft aber stammt von Niels Kadritzke: „Wo das Geld spielt“ untersucht die neue Ökonomie des Fußballs am Beispiel europäischer Großklubs.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2013)

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