Wo Trotzkij einst erklärte, wie 1917 die Revolution gemacht wurde

Das US-Magazin "Current History" feiert heuer den 100. Geburtstag. Es hat seit 1914 nichts an Qualität eingebüßt.

Von einem „Wendepunkt der modernen Geschichte“ schreibt Harvard-Professor Joseph S. Nye gleich nebenan in seinem Gastkommentar. Das Jahr 1914 steht tatsächlich für vieles, für Ende und Anfang: Für den verstorbenen Historiker Eric Hobsbawm markierte es das Ende des langen 19. Jahrhunderts, und der 1914 beginnende Erste Weltkrieg leitete auch den Kollaps gleich mehrerer Imperien ein. Gleichzeitig ist 1914 Ausgangspunkt für den Aufstieg von Kommunismus und Faschismus/Nationalsozialismus, für wirtschaftliche Depression, Völkermord, Entkolonisierung, Atomwaffen, Kalten Krieg. 1914 setzte eine Spirale der Gewalt und Zerstörung in Gang, die in den folgenden Jahrzehnten auf der ganzen Welt 200 Millionen Menschenleben verschlang.

Drei Jahre nach Ausbruch des Großen Krieges betrat auch ein neuer Akteur endgültig die Weltbühne, der seither diese Bühne dominiert: die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort, in New York, ist im Dezember 1914 auch die erste Nummer einer Publikation erschienen, die heuer ihren 100. Geburtstag feiert: „Current History“. Damals war diese Publikation noch eine Beilage der Tageszeitung „New York Times“. Analysen, Reportagen und Dokumentationen sollten den Lesern helfen, das Zeitgeschehen besser zu verstehen, tiefer in die Ereignisse zu blicken. Gleich die erste Ausgabe war ein „Kracher“: George Bernard Shaw reflektierte auf 50 Seiten über den Krieg, weitere Autoren waren Rudyard Kipling, H.G. Wells, G.K. Chesterton, Arthur Conan Doyle oder Gerhart Hauptmann.

Im Laufe der 100-jährigen Geschichte gesellten sich weitere Prominente zum Kreis der „Current History“-Autoren dazu: Leo Trotzkij beschrieb 1919 „Wie wir die Oktoberrevolution gemacht haben“; Winston Churchill machte sich 1938 Gedanken darüber, was „England gegen Hitler tun sollte“; „Madame Chiang Kai-shek“ wollte 1940 ihre Heimat „China ungebeugt“ sehen; der Politikwissenschaftler Hans J. Morgenthau prophezeite 1968 den Vereinigten Staaten ein Desaster in Vietnam; Condoleezza Rice analysierte 1986 „Das sowjetische Militär unter Gorbatschow“. Und, und, und ...

Seit 1943 gehört die Zeitschrift der Familie Redmond, die sie in Philadelphia herausgibt. Nach wie vor gilt: Sie ist eine Fundgrube für alle, die nicht nur über das Zeitgeschehen wissen, sondern die es auch verstehen wollen. Allmonatlich widmet sich das Heft einer Weltregion, erklärt, was sich politisch, wirtschaftlich, sozial in großen und kleineren Ländern abspielt. Dazu kommen Hefte zu Spezialthemen wie „Globale Trends“ oder zur „Zukunft des Kapitalismus“. Zusätzlich gibt es Serien wie zuletzt darüber, wie gerecht die Gesellschaften in einzelnen Weltgegenden überhaupt sind (ein immer brennenderes Thema angesichts der global wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich); derzeit läuft eine Serie, welche Rolle „weiche Macht“ in der heutigen Außenpolitik spielt.

Im Jubiläumsheft fragt Professor Michael Mandelbaum (Johns Hopkins University), ob Amerika seine 1917 angetretene Führungsrolle in der Welt wohl beibehalten könne. Das hänge davon ab, schreibt er, ob Europa und Japan die USA auch künftig in dieser Rolle unterstützten, ob sich China weltpolitisch als Partner oder als Rivale der USA positionieren werde und nicht zuletzt, ob sich die USA angesichts innerer sozialer und finanzieller Zwänge auch künftig als globale Ordnungsmacht engagierten. „Current History“ jedenfalls liefert Amerikanern, die es lesen, Hintergrundinformationen für ihr Handeln. „Happy Birthday“ nach Philadelphia.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2014)

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