Naive Ministerinnen, Szene-Lokale und Technologieschmuggler

Als Wien Drehscheibe für den Handel mit Embargogütern war. Die Wirtschaftsspionage bleibt ein Wachstumsmarkt.

Deprimierend. So beschreibt der Grazer Geheimdienstexperte Siegfried Beer seinen Besuch im Nationalrat am 21. November 2013, um dort der Debatte der Abgeordneten über die Auswirkungen des NSA-Skandals auf Österreich zu lauschen. Auffällig seien nur die „verbale Theatralik eines Peter Pilz, die Schreianfälle eines H.-C. Strache und die naiven Wunschvorstellungen von Beatrix Karl über ein ,No spy‘-Abkommen“ gewesen. Aber von 21 Rednerinnen und Rednern zum NSA-Skandal hätten an jenem Tag nicht einmal eine Handvoll ihre Hausaufgaben zum Thema Sinn und Zweck nachrichtendienstlicher Tätigkeit im 21. Jahrhundert gemacht. „Österreichische Politiker sollten fähig sein, das besser zu machen“, schreibt Beer im Leitartikel der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Journal für Geheimdienste, Propaganda und Sicherheitsstudien“ (JIPSS). Na ja, vielleicht ist da auch der Professor ein bisschen naiv.

Der Wiener Historiker Thomas Riegler, der mit Studien zum Thema „Österreich und der Nahost-Terrorismus“ auf sich aufmerksam gemacht hat, steuert im jüngsten Helft dieses Journals seine Forschungsergebnisse zur „Wiener Residentur“ des ostdeutschen Staatssicherheitsdienstes (Stasi) bei. Wenn man da liest, wie die zuständige Staatspolizei in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren wegschaute beziehungsweise wegschauen musste, wie sich ausländische Agenten in Wien gegenseitig belagerten und Embargogüter über Österreich in den Ostblock verschoben wurden, wundert man sich nicht mehr, dass das Sensorium in diesem Land für alles, was mit Nachrichtendiensten zu tun hat, generell unterentwickelt ist.

Riegler ist sich nach seinen Recherchen sicher, dass der Szenewirt Rudi Wein, in dessen Café Gutruf Spitzenpolitiker wie Leopold Gratz und Helmut Zilk und Starjournalisten wie Thaddäus Podgorski, Hans Dichand und Hans Mahr ein und aus gingen, in Zusammenhang mit dem Wiener Technologieschmuggelring „zumindest anfänglich eine koordinierende Rolle spielte, indem er die Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR herstellte“. Hingegen bleibe ein geheimdienstlicher Hintergrund von Udo Proksch „aufgrund fehlender Belege eine Mutmaßung“. Wien war in jenen Jahren jedenfalls „Drehscheibe für den Handel mit Embargogütern“, was zu Beginn der Präsidentschaft von Ronald Reagan ärgere amerikanisch-österreichische Spannungen auslöste, weil die US-Regierung „die Kontrolle des Technologietransfers als entscheidend für die Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses begriff“.

Ein zu phlegmatischer Umgang mit Spionage ist offenbar kein rein österreichisches Phänomen. Die Fachzeitschrift „Internationale Politik“ widmet in ihrem Heft I/2014 der Wirtschaftsspionage einen Schwerpunkt. Der Journalist Dieter Schnaas kommt in seinem Beitrag zum Schluss, dass sich gerade erfolgreiche mittelständische deutsche Unternehmen beim Schutz ihrer innovativen Entwicklungen vor Ausspähungen durch ausländische Firmen viel zu lax verhielten: „Sie fürchten sich vor dem Bekanntwerden einer Sicherheitslücke beinahe mehr als vor der Sicherheitslücke selbst.“

Die Folge: Innovationsvorsprung und kreative Produkte, die Deutschland über die Jahre zum Exportweltmeister werden ließen und dem Land hohen Wohlstand brachten, schrumpfen nicht zuletzt durch die Spionage im Netz immer mehr. Im internationalen Wettbewerb droht das Land dadurch zurückzufallen, längerfristig ist auch das Wohlstandsmodell gefährdet. Wirtschaftsspionage ist also eine Sache, die die ganze Gesellschaft betrifft, nicht nur ein paar Firmen. Ist man sich dessen denn auch hierzulande bewusst?

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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