Extreme Rechte und radikale Linke eint der Hass auf Amerika

Was die Krim-Krise und die neuesten Forschungsergebnisse eines irischen Hitler-Biografen miteinander zu tun haben.

Wer immer sich im Moment medial kritisch zur russischen Aggressionspolitik gegenüber der Ukraine äußert, muss mit einem wüsten Proteststurm eines Teils des Lesepublikums rechnen. Eines ist bei diesen Shitstorms, die Kritikern des völkerrechtswidrigen Vorgehens der Russen sogleich ins Gesicht bläst, sehr auffällig: In den allerwenigsten Fällen geht es um Russophilie, um Sympathie oder Verständnis für die Moskauer Aggressionspolitik. Viel mehr schimmern da Genugtuung, Schadenfreude, ja Bewunderung dafür durch, dass da endlich wieder jemand den Westen, die Nato, vor allem aber die Amerikaner offen herausfordert.

Es geht im Westen im Kern der Debatte über die Krim-Krise also um Antiamerikanismus – eine negative Gefühlslage, die Putin im eigenen Land wie auch international schon seit Langem bestens anzusprechen versteht. Gerade in den Wut-Postings auf russlandkritische Beiträge lässt sich auch gut sehen, wie prächtig die Amerika-Hasser der radikalen Rechten und der extremen Linken miteinander harmonieren, wie Rot und Braun ineinanderfließen.

Nichts Neues, das. Bei alten und neuen Nazis, alten Kommunisten und neuen Linken waren schon immer die angloamerikanische Welt, der Kapitalismus, der Liberalismus die wahren Feinde. Auch für Adolf Hitler? Dass Hitler die angelsächsische Welt als Feind angesehen hatte, noch bevor er die Juden als Feinde betrachtete, das behauptet der aus Irland stammende und an der englischen Eliteuniversität Cambridge lehrende Historiker Brendan Simms: „Hitler wurde ein Gegner der Briten und Amerikaner, bevor er ein Feind der Juden wurde. Und er wurde ein Feind der Juden wegen seiner Feindschaft gegenüber den angelsächsischen kapitalistischen Mächten.“ Die Juden als Feinde angesehen habe Hitler wiederum, bevor er Slawen und Bolschewisten als Feinde identifiziert habe.

Brendan Simms schreibt gerade an einer Hitler-Biografie. Erste Ergebnisse seiner Forschungen hat er unter dem Titel „Gegen eine Welt von Feinden: Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Entwicklung der Ideologie Adolf Hitlers“ in der Zeitschrift „International Affairs“ vorgestellt, die von der britischen Denkfabrik Chatham House herausgegeben wird. Der 1986 mit großer Heftigkeit ausgetragene deutsche „Historikerstreit“ hatte sich vor allem darum gedreht, dass der Berliner Gelehrte Ernst Nolte einen Zusammenhang zwischen Hitlers pathologischem Rassenwahn, der in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik mündete, und dem bolschewistischen Klassenmord herstellt hatte. Nolte wurde von deutschen Großintellektuellen sogleich gemaßregelt, weil er durch diesen Kontext die „Singularität des Holocaust“ verleugnen würde.

Ist mit einer ähnlich heftigen Kontroverse zu rechnen, nachdem Simms nicht die Angst vor dem Kommunismus als Auslöser für Hitlers Vernichtungspolitik sieht, sondern den Hass auf den Kapitalismus? Jedenfalls, schrieb der in Aberdeen forschende deutsche Historiker Thomas Weber in der „Frankfurter Allgemeinen“, würden Simms' Hypothesen noch „grundlegend und bahnbrechend die Art und Weise verändern, wie wir über Hitler denken“. In einem Essay im „Spiegel“ (7/2014) über die deutsche Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und den Historikerstreit hält Dirk Kurbjuweit fest: „Es gibt keine historischen Wahrheiten. Es gibt nur einen Stand der Forschung, der Lücken hat, die mit Spekulationen gefüllt werden, mit Interpretationen [...] Geschichtsforschung ist Annäherung. Ständige Revisionen sind schon deshalb notwendig.“

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2014)

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