Obama und der Nahe Osten: Augen zu – und ins Schlamassel

Der US-Präsident wollte sich anderen Weltregionen als der Dauer-Unruhezone der Welt zuwenden. Vergeblich.

Wie wir alle sehen sind auch Staaten mit Problemen konfrontiert, die sie am liebsten wegzaubern, ignorieren, für nicht existent erklären würden. Nur, dadurch verschwinden sie nicht. US-Präsident Barack Obama lernt diese Lektion gerade schmerzlich. Nachdem sein Vorgänger George Bush junior sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit der ganzen militärischen Kraft einer Supermacht in die Unruhezone Naher und Mittlerer Osten hineingeworfen und in Afghanistan und im Irak zwei langwierige und kostspielige Kriege angezettelt hatte, gab Obama das Kommando „Zurück!“. Ende 2011 Abzug der US-Truppen aus dem Irak, Ende 2015 sollen sie auch Afghanistan verlassen haben.

Obama, kritisieren die beiden amerikanischen Experten Kenneth Pollack und Ray Takeyh in der Juni-Ausgabe der außenpolitischen Fachzeitschrift „Foreign Affairs“, habe den Mühlstein Nahost loswerden wollen, habe so gut wie keine Bereitschaft mehr gezeigt, ausreichend Ressourcen in die Region zu investieren. Aber: „Das Zurückfahren des amerikanischen Engagements hat dem Nahen Osten keineswegs mehr Stabilität oder Sicherheit gebracht.“ Im Gegenteil: Die Lage hat sich zuletzt immer mehr verschlechtert. Bürgerkriege im Jemen, in Syrien und jetzt erneut im Irak. Libyen, Ägypten, Bahrain und Libanon stehen mehr oder weniger am Rande von Bürgerkriegen. Jordanien, Kuwait, Algerien und die Türkei drohen als Nachbarn von Bürgerkriegsstaaten in die blutigen Konflikte hineingerissen zu werden. Und im Hintergrund droht die offene Konfrontation zwischen der sunnitischen und der schiitischen Führungsmacht, Saudiarabien und Iran.

Was für ein gigantisches Schlamassel! Nur, was soll Obama tun? Pollack und Takeyh schlagen zum Beispiel vor, der Opposition in Syrien beim Aufbau eines großen, professionellen Militärs zu helfen, das „das Territorium halten und sowohl die Streitkräfte des Assad-Regimes wie auch der islamischen Extremisten erfolgreich bekämpfen kann“. Als Beispiel führen sie Amerikas Militärhilfe für Kroatien und die bosnischen Kroaten an, aber auch die US-Unterstützung beim Aufbau „einer einigermaßen kompetenten irakischen Armee“. Gut, der Aufsatz wurde vor dem jüngsten Vorstoß der sunnitischen Kampftruppe Isil im Irak geschrieben. Trotzdem, blöd gelaufen. Die mit US-Hilfe aufgebauten „kompetenten“ irakischen Streitkräfte haben sich im nordirakischen Mosul vor ein paar tausend Isil-Kämpfern aus dem Staub gemacht und die Millionenstadt ohne viel Gegenwehr den Fanatikern überlassen.

In Heft 105 der Vierteljahreszeitschrift „Lettre International“ ist der Aufsehen erregende Aufsatz von Seymour M. Hersh nachgedruckt, in dem der US-Starjournalist die Giftgas-Einsätze im syrischen Bürgerkrieg untersucht, die im Sommer 2013 beinahe zu einem massiven Bombardement Syriens durch Amerikaner und Franzosen geführt hätten. Hershs Recherchen ergaben: Es war die US-Militärspitze, die gegen solche Luftangriffe war – auch weil sie Hinweise hatte, dass der C-Waffeneinsatz am 21. August, den Obama als Überschreiten seiner „roten Linie“ ansah, gar nicht vom Assad-Regime ausgegangen war. Sondern? Den endgültigen Beweis kann Hersh nicht präsentieren. Aber Indizien sprächen dafür, dass der türkische Geheimdienst über ihm nahestehende Oppositionsgruppen diesen C-Waffeneinsatz initiiert haben könnte. Sinn und Zweck: die USA in den syrischen Bürgerkrieg hineinzuziehen und mit deren Luftmacht das Blatt auf dem Schlachtfeld zu wenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2014)

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