Der wirtschaftliche Riese, der politisch in Kinderschuhen steckt

In Deutschland hat intensiveres Nachdenken über die künftige Rolle des Landes auf der Weltbühne eingesetzt.

Die Erfolge der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der diesjährigen Weltmeisterschaft in Brasilien nahm das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zum Anlass, um dem allgemeinen Gemütszustand der Nation eine Titelgeschichte (29/2014) zu widmen. Deutschland wird da zur „entkrampften Nation“ erklärt, die ihre Bedrückung und „Selbstverdüsterung“ durch die ständige schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit endlich hinter sich gelassen habe. Gleich acht Mal kommt in der Geschichte das Wort „Leichtigkeit“ vor, auch von „Reife“ und „Coolness“ ist die Rede. Gleichzeitig sieht das Hamburger Magazin das Land als Folge der Politik von Angela Merkel im „fröhlichen Biedermeier“ verharren. Merkel verfolge einen „kühlen Nationalismus, ohne Pathos, ohne Auftrumpfen, aber mit Nachdruck“. Und von Kriegsabenteuern hätten die Deutschen seit dem Zweiten Weltkrieg sowieso die Nase voll.

Auch das US-Magazin „Newsweek“ widmete der jüngsten deutschen Erfolgsgeschichte eine Titelgeschichte, schrieb vom Beginn eines möglichen „deutschen Jahrhunderts“. „Spiegel“ und „Newsweek“ sehen allerdings ein Problem: Das internationale Engagement Deutschlands kann mit dem neu gewonnenen nationalen Selbstbewusstsein nicht Schritt halten. „Außenpolitisch fehlt die Orientierung“, schreibt der „Spiegel“. „Früher spielte die Bundesrepublik die Rolle des besten Europäers und besten Freundes der USA. Das ist vorbei. Aber was kommt?“ Und „Newsweek“ zitiert den „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe: „Deutschland ist kein strategischer Spieler und will auch keiner sein. Im Grunde ist es eine ,Greta-Garbo-Macht‘, die bekannterweise einmal sagte: ,Ich will allein sein‘‘.“

Will auch Deutschland allein sein? Das Berliner Fachmagazin „Internationale Politik“ (IP) widmet den neuen außenpolitischen Herausforderungen für Deutschland in der Sommerausgabe einen Schwerpunkt. Die öffentlichen Aussagen von Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, endlich mehr Verantwortung auf der Weltbühne zu übernehmen, widersprechen jedenfalls dem Befund Joffes. Recht hat Joffe mit seiner Einschätzung wohl nur dann, wenn strategisches Engagement vor allem Bereitschaft zu militärischem Eingreifen bedeutet. Da aber hält die jetzige bundesdeutsche Regierung an der bisherigen „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ fest.

Das Auswärtige Amt in Berlin hat inzwischen deutsche und internationale Experten eingeladen, Schwächen der deutschen Außenpolitik zu benennen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Dieser Nachdenkprozess heißt unsinnigerweise undeutsch „Review 2014“, aber sinnvoll ist er allemal, wie der kritische Überblick in der „IP“ zeigt. Ein Hauptkritikpunkt ausländischer Experten lautet: Berlin setze sich international nur als Zivil- und Wirtschaftsmacht ins Szene, halte sich aber in Sicherheitsangelegenheiten zurück. Dabei sei offensichtlich: „Wer ökonomisch zu den Riesen zählt, passt politisch nicht in Kinderschuhe.“

Der Nachdenkprozess in Berlin ist ein Versuch, klar zu formulieren, was eigentlich die Hauptinteressen deutscher Außenpolitik sein sollten. Schwierig genug in einer Zeit der globalen Wirren und strategischen Ungewissheit. Immerhin, die Deutschen machen einen ernsthaften Versuch, ihre bisherige Denkfaulheit in außenpolitischen Angelegenheiten zu überwinden. Könnte ein gutes Vorbild auch für Österreich sein.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2014)

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