Über das Wagnis, in die Welt der Zukunft zu blicken

Zwei Publikationen scheuen nicht den Blick auf die Trends im neuen Jahr. Besonders Russland steht im Fokus.

Alle Jahre wieder zum Jahreswechsel in (fast) allen Medien: der Blick zurück aufs alte und der Blick nach vorn ins neue Jahr. Zurückblicken, aufzählen und analysieren ist einfacher als vorausschauen, Trends aufspüren und prognostizieren. Da ist immer eine gehörige Portion Spekulation dabei – und die Gefahr, gründlich danebenzuliegen. Die Direktion für Sicherheitspolitik im Landesverteidigungsministerium sagte sich offenbar: „Wer nichts wagt, gewinnt nichts!“ Und legte zum Jahresende eine bemerkenswerte Publikation vor: „Sicher. Und morgen?“ ist der Titel der 240-seitigen sicherheitspolitischen Vorschau auf das Jahr 2015.

Das Heft ist grafisch sehr ansprechend gestaltet, die 65 Einzelbeiträge sind nicht zu lang, die wichtigsten Aussagen werden jeweils in Kernpunkten zusammengefasst. Auch mehrere international höchst anerkannte Fachleute für Außen- und Sicherheitspolitik konnten als Autoren gewonnen werden. Brigadier Johann Frank, der Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik, fasst die Prognosen zusammen: „Die wesentliche Erkenntnis aus dem Trendszenario 2015 ist eine mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartbare Verschlechterung der Sicherheitslage: Die sicherheitspolitischen Risiken und Bedrohungen für die EU und Österreich nehmen zu.“ Generell zeige sich, dass geopolitische Fragen wieder viel stärker das strategische Denken in Europa beeinflussen und die militärische Verteidigung wieder an Gewicht gewinne.

Warum dem so ist, erwähnt Frank in seinem Vorwort zwar nicht, aber der Grund wird in vielen Aufsätzen angesprochen: die Aggressionspolitik Russlands im postsowjetischen Raum, vor allem in der Ukraine. Wiederholt ist in diesem Zusammenhang von einer „Renaissance der irregulären oder ,hybriden‘ Kriegsführung“ die Rede, „die geprägt ist von einem Zusammenspiel von Elementen traditioneller Militäroperationen, ökonomischem Druck, der Nutzbarmachung nationaler Minderheiten, medialer Propaganda bis hin zu Guerillataktiken“. Bisher haben die europäischen Staaten noch kein Rezept gefunden, wie dieser neuartigen Herausforderung aus dem Osten am besten zu begegnen wäre. Auch die im Heft angeführten Szenarien für den Ukraine-Konflikt sind alle nicht sehr ermutigend. Einige Male wird aber angedeutet, dass die Lieferung tödlicher Waffensysteme an die Ukraine die nächste Stufe auf der Eskalationsleiter sein könnte.

Die sicherheitspolitische Vorschau aus dem Landesverteidigungsministerium hat vor allem Europa und die unmittelbare Nachbarschaft im Blickfeld. Das vom Londoner „Economist“ und der „Presse“ gestaltete Heft „Die Welt 2015“ schaut sich Trends und Entwicklungen rund um den Globus an. So werden die kränkelnden westlichen Demokratien oder die Rückkehr des Nationalismus in vielen Teilen der Welt unter die Lupe genommen.

Dazu heißt es: „Im Großen und Ganzen wird 2015 aufgrund der Wiederkehr nationalistischer Tendenzen ein schlechtes Jahr für internationale Kooperationen. Die EU wird es einige Mühe kosten, sich auf die Ankurbelung der Wirtschaft und den Umgang mit Russland zu einigen. Russland selbst wird zunehmend marginalisiert.“ Eine gewagte Prognose? Immerhin blicken der „Economist“ und die „Presse“ (zuständig für den Österreich-Teil) jeweils selbstkritisch auf ihre im Jahr davor gemachten Vorhersagen zurück und zählen auf, wo sie falsch und wo sie richtig gelegen sind. Alles in allem: Beide Redaktionen prognostizieren eigentlich ganz gut.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2015)

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