Die Zeichen stehen auf atomare Modernisierung und Aufrüstung

Nuklearmächte machen ihre Kernwaffen verlässlicher und treffsicherer: Startschuss zu einem neuen Rüstungswettlauf.

Vor zwei Wochen ist die mehrwöchige Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrags in New York zu Ende gegangen: von der Weltöffentlichkeit weitestgehend unbeachtet und erwartungsgemäß ohne Ergebnis. Ägypten und andere arabische Staaten hatten vorgeschlagen, im Abschlussdokument die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten festzuschreiben – das lehnten die USA, Großbritannien und Kanada mit Rücksicht auf Israel entschieden ab. Schließlich hat Israel nach Schätzungen von Experten gegenwärtig zwischen 80 und 400 Atomwaffen in seinen Arsenalen, und diese wird es sich nicht aus der Hand nehmen lassen.

Gut, Mitte der 1980er-Jahre gab es schon einmal 70.000 Kernwaffen auf der Welt (überwiegend amerikanische und sowjetische), heute sind es nach Expertenschätzungen noch 16.000. Es gibt neun Atomwaffenstaaten, zu den traditionellen Nuklearmächten (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) haben sich vier dazugesellt (Israel, Indien, Pakistan, Nordkorea). Die internationalen Bemühungen richten sich gerade darauf zu verhindern, dass Iran das zehnte Mitglied dieses exklusiven Klubs wird.

Aber wenn die Weltöffentlichkeit sich – verglichen mit den Tagen des Wettrüstens der Supermächte im Kalten Krieg – derzeit kaum für Fragen der atomaren Rüstung und Abrüstung interessiert (der Blick richtet sich fast ausschließlich auf den Iran und Nordkorea), tut sich doch Bedeutendes in diesem Bereich, wie John Mecklin vom „Bulletin of Atomic Scientists“ in einer Analyse in der US-Zeitschrift „Foreign Policy“ schreibt. Zwar haben sich Washington und Moskau 2011 auf eine Obergrenze von 1550 für ihre atomaren Trägersysteme geeinigt. Dafür sind Amerikaner und Russen gerade dabei, ihre Kernwaffenarsenale umfassend zu modernisieren: Ihre Atomwaffen werden noch verlässlicher und treffsicherer. Mecklin warnt: „Die Modernisierungsprogramme der USA, Russlands und anderer Staaten könnten die Tür für einen neuen Rüstungswettlauf öffnen und die Zahl der Atomwaffenstaaten weiter steigen lassen.“

Gerade der blutige Konflikt in der Ukraine habe dabei sämtliche internationalen Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle gebremst, auch im nuklearen Bereich, schreibt Mecklin. So sieht das auch Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. In einem Aufsatz für die „Internationale Politik“ (3/2015) argumentiert er, dass Atomwaffen in Europa angesichts der jüngsten Entwicklungen (umfangreiche russische militärische Modernisierungsprogramme, mögliche Pläne Moskaus, Kernwaffen in der Exklave Kaliningrad und auf der Krim zu stationieren) wieder an Bedeutung gewinnen werden. Und: „Unter den aktuellen konfrontativen Bedingungen ist eine gemeinsame Reduzierung der Atomwaffen in Europa kaum noch vorstellbar.“

In der Nato glaubt man inzwischen, dass Russland die Schwelle für einen Einsatz seiner Nuklearwaffen im Kriegsfall gesenkt hat, das macht vor allem den baltischen Staaten, Polen und Rumänien große Sorgen. Umso mehr gewinnt in der westlichen Allianz das Prinzip Abschreckung erneut an Bedeutung. Abschreckung, indem man verstärkt wieder auf eigene Atomwaffen setzt. Konkret bedeutet das die Modernisierung der derzeit rund 200 in Belgien, den Niederlanden, Deutschland, Italien und der Türkei gelagerten amerikanischen B-61-Bomben und ihrer Trägersysteme. Und man kann darauf wetten, dass es bei diesem Modernisierungsschritt allein nicht bleiben wird: Alle Indizien weisen in Richtung Aufrüstung...

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2015)

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