Die bittere Enttäuschung einer guten Nachbarin über Österreich

Die letzte Botschafterin der Tschechoslowakei in Wien, Magdalena Vášáryová, beklagt Mitteleuropas Uneinigkeit.

Wieso eigentlich ziehen die ostmitteleuropäischen Staaten, obwohl sie Geschichte, Kultur, Verwandtschaft und Mentalität eng aneinanderbindet, in der Einschätzung der russischen Aggression gegen die Ukraine eigentlich nicht an einem Strang? Selbst durch die Visegrád-Gruppe – Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen – zieht sich ein Riss: Ungarns Premier Viktor Orbán geriert sich inzwischen als Putin-Versteher der besonderen Art, während er sich in seiner ersten Amtszeit (1998–2002) außenpolitisch noch als Fürsprecher der Ukraine in der westlichen Welt profilierte. Die Regierungen in Prag und Bratislava zeigen sich eher indifferent hinsichtlich des ukrainischen Schicksals, obwohl die Slowakei sogar direkter Nachbar des geschundenen Landes ist.

Nur die Polen haben sich ebenso wie die baltischen Staaten von Anfang an auf die Seite der Ukraine gestellt und nennen die russische Aggression offen beim Namen. Wobei sicher eine Rolle spielt, dass diese Länder ihren östlichen Nachbarn halt gut kennen, weil sie lang genug unter der russischen Knute gelebt haben.

Magdaléna Vášáryová, die sich als letzte tschechslowakische Botschafterin in Wien von 1990 bis 1993 hierzulande einen guten Ruf erworben hat, versucht in der neuesten Ausgabe des Krakauer Fachmagazins „New Eastern Europe“ die Frage zu beantworten, warum Mitteleuropa sich derzeit als ziemlich zerstrittener Haufen präsentiert, obwohl die Zusammenarbeit der Visegrád-4 einstmals sogar als Modell für regionale Zusammenarbeit gepriesen wurde.

Ihrer Meinung nach haben es die mitteleuropäischen Staaten versäumt, in der Frage der Energieabhängigkeit von Russland eine gemeinsame Position auszuarbeiten; sie haben zu unterschiedliche historische Erinnerungen (so hätten Ungarn und Slowaken die polnisch-ukrainischen Aussöhnungsbemühungen schlicht ignoriert). Zudem sieht Vášáryová in Ungarn, der Slowakei und Tschechien eine Tendenz zu Abwehrreflexen gegen liberales Gedankengut („Es gibt das Argument, dass dort, wo die Habsburger regierten, liberale politische Gedanken niemals erblühen können“). Freilich, sollte in Polen im Herbst die Partei Recht und Gerechtigkeit von Jaroslaw Kaczyński an die Macht zurückkehren, werden wohl auch an der Weichsel die Festspiele des Liberalismus vorbei sein.

Am meisten enttäuscht zeigt sich die Slowakin Vášáryová aber über Österreich. „Am interessantesten ist die Haltung Österreichs gegenüber Russland“, schreibt sie. „Über Jahrzehnte waren wir Zeugen des außerordentlich guten Willens der Österreicher, die zehntausende Flüchtlinge aus Ungarn, Slowenien, der Tschechoslowakei und Polen bei sich aufnahmen und ihnen ein Leben in Freiheit und Demokratie ermöglichten. Die Österreicher kümmerten sich um sie, ermöglichten vielen von ihnen erfolgreiche Karrieren oder bereiteten andere auf ihre Reise nach Osteuropa und Übersee vor.“ Umso trauriger sei es, dass diese Offenheit und Freundschaft schon wenige Wochen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verwelkte. „An ihre Stelle traten Widerwillen und Misstrauen, die sich in österreichischen Bemühungen zeigte, den Integrationsprozess postkommunistischer Länder in die EUzu bremsen. Österreich zögerte, Brücken, Straßen und andere Infrastruktur zu bauen; es blockierte Energieverbindungen und versuchte, seinen Arbeitsmarkt für andere Mitteleuropäer abzuschotten. Deshalb sollte niemand von uns über die unklare, ja negative Haltung Österreichs zu den Geschehnissen in der Ukraine überrascht sein.“

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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