Die Brandbeschleuniger von Volksaufständen: Soziale Medien

Facebook und Co. können zu Katalysatoren von Revolten werden. Aber nur bei günstigen Rahmenbedingungen.

Soziale Medien dienen heute als Ventil für den Mitteilungswahn geschwätziger Journalisten, als Wegweiser für Flüchtlinge, die die besten Routen aus ihrer Misere suchen, und als Brandbeschleuniger für politische und soziale Aufstände. Gut, das ist etwas überspitzt formuliert. Aber Tatsache ist, dass soziale Medien gegenwärtig den Lauf der Dinge in der Welt mitbeeinflussen (können). Im neuesten Heft des Grazer „Journal für Geheimdienst-, Propaganda- und Sicherheitsstudien“ (JIPSS) untersucht Professor Armin Kirshnan von der East Carolina University die Rolle sozialer Medien beim Arabischen Frühling von 2011. Und er kommt zu dem Schluss: „Der Gebrauch und die Manipulation sozialer Medien spielte eine wichtige Rolle bei den Anstrengungen der US-Regierung und einiger nichtstaatlicher Akteure, lästige Diktaturen loszuwerden.“

US-Regierungsvertreter streiten das öffentlich natürlich vehement ab. Klar, denn in Tunesien und Ägypten operierten sie hinter den Kulissen, an der Front standen IT-Firmen wie Google und Nichtregierungsorganisationen wie die Nationale Stiftung für Demokratie (NED). Die Aufständischen in Tunis und Kairo wurden finanziell, ideologisch, technisch und diplomatisch unterstützt, die sozialen Medien waren entscheidende Kommunikationskanäle.

Als das Mubarak-Regime etwas dagegen tun wollte und das Internet abdrehte, beschleunigte es damit die Revolte nur. Denn nun gingen immer mehr Leute auf die Straße, um ihren Informationshunger zu stillen. Krishnan fasst zusammen: „Obwohl die sozialen Medien und der Einfluss des Auslands nicht die Revolution machten, haben sie doch unbestreitbar dazu beigetragen, Widerstand zu schüren und zu einem Katalysator der Aufstände zu werden.“

Freilich, erfolgreich sein könnten die sozialen Medien nur unter günstigen Bedingungen: „Wenn ein Regime technisch ausgebufft genug ist, um alle Informationskanäle bis hin zu den Online-Medien zu kontrollieren (wie das bei Russland und China der Fall ist), oder einfach nur brutal und rücksichtslos genug gegen Oppositionelle vorgeht (wie Bahrain, Libyen oder Syrien), sind die sozialen Medien weitgehend bedeutungslos.“ Folge der Zersetzungsversuche von Regierungen (nicht nur westlicher) via sozialer Medien ist freilich, dass den dort verbreiteten Inhalten von kritischen Nutzern immer weniger geglaubt wird, weil zu viel manipuliert wird.

Die Pariser Sicherheitsexpertin Florence Gaub geht im Septemberheft der Berliner Zeitschrift „Internationale Politik“ der Frage nach, wieso Aufstandsbekämpfung in arabischen Ländern zuletzt immer eine Geschichte des Scheiterns war. Aufstände in der arabischen Welt seien häufig die Folge des Ausschlusses bestimmter Bevölkerungsgruppen vom politischen Prozess, schreibt Gaub. Anhand der Beispiele Ägypten (Sinai), Algerien, Irak und Jemen zeigt sie auf, dass die jeweiligen Sicherheitskräfte bei der Bekämpfung der Aufständischen so gut wie nie Rücksicht auf die sie umgebende Bevölkerung nehmen würden. Folge: Die leidtragenden Zivilisten solidarisieren sich mit den Aufständischen, unterstützen sie.

„Der Kampf gegen Aufständische ist ein heikles und langwieriges Geschäft“, zitiert die Autorin T. E. Lawrence von Arabien, „ganz so, als wenn man Suppe mit einem Messer äße.“ Gaub ergänzt: „Aufstandsbekämpfung ist heikel, weil sie infanteriebasierte Maßnahmen erfordert, die inmitten der Zivilbevölkerung durchgeführt werden; und sie ist langwierig, weil sie die schrittweise Trennung der Rebellen von den Zivilisten beinhaltet.“

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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