Der Iran an einer Weggabelung: Öffnung oder weitere Einigelung?

Mehrere Publikationen befassen sich mit der Zukunft des Landes. Nur Iraner selbst kommen dabei nicht zu Wort.

Die weitere Entwicklung des Iran gehört zu den interessantesten geopolitischen Fragen der näheren Zukunft. Das strategisch einzigartig gelegene Land mit seinem enormen Reichtum an Naturschätzen und über 80 Millionen vergleichsweise gut ausgebildeten Einwohnern ist potenziell ein mittlerer Riese im globalen Mächtegefüge. Auf jeden Fall spielt der Iran eine Hauptrolle im Geschehen des Nahen und Mittleren Ostens. Aber das Land spielt seit der Revolution von 1979 sein eigenes Spiel, lässt sich von keiner äußeren Macht ans Gängelband nehmen, liefert sich als schiitische Vormacht ein erbittertes Ringen mit der selbst erklärten sunnitischen Führungsmacht Saudiarabien und bringt mit dumpfen Vernichtungsdrohungen gegen Israel die westliche Welt gegen sich auf.

Mit dem Wiener Atomabkommen und – im Fall von dessen konsequenter Umsetzung – der Aufhebung der Sanktionen steht der Iran vor einer entscheidenden Weggabelung: Öffnet sich das Land hin zur Welt, lässt sein wirtschaftliches Potenzial zur Geltung kommen und erklärt sich bereit, bei der Löschung regionaler Brandherde wie Syrien, Jemen und dem palästinensisch-israelischen Konflikt, wo Teheran seine Finger mit im Spiel hat, mitzuwirken? Oder sorgen die Hardliner in Teheran dafür, dass der Iran in allen diesen Konflikten weiter Öl ins Feuer gießt und international weiter als Quertreiber und Unruhestifter wahrgenommen wird?

Mehrere internationale Fachzeitschriften beschäftigen diese Fragen – von der renommierten US-Zeitschrift „Foreign Affairs“ bis zur Berliner „Internationalen Politik“ (IP) und dem Debattenmagazin „The European“. Was auffällt: In den insgesamt zehn Beiträgen dieser drei Publikationen zum Iran ist kein einziger Text, der die Problematik rund um dieses Land aus iranischer Perspektive schildert. Vornehmlich amerikanische und israelische Autoren äußern sich zur „Blackbox Iran“ (IP), und ihre Prognosen über die weitere Entwicklung fallen überwiegend düster aus, weil der reformorientierte Präsident, Rohani, sich nicht gegen die konservativen Hardliner werde durchsetzen können. Diese Hardliner aber, darauf weisen zwei Autoren in den „Foreign Affairs“ hin, beziehen ihre Legitimität und starke innenpolitische Position vor allem aus ihren ständigen Verweisen auf äußere Mächte, denen es nur darum gehe, den Iran wirtschaftlich und militärisch schwach und abhängig zu halten.

Im „European“ wird in vier Beiträgen über die anhaltende Gefahr debattiert, dass der Iran trotz Wiener Abkommen in den Besitz der Atombombe gelangen könnte – gewohnt nüchtern-sachlich vom Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, gewohnt aggressiv-propagandistisch vom israelischen Ministerpräsidenten, Benjamin Netanjahu. Aber in keinem einzigen der zehn Aufsätze wird erwähnt, dass Israel selbst nach Angaben von verschiedenen Forschungsinstituten mittlerweile zwischen 80 und 400 Kernwaffen in seinen Arsenalen hat. Wer also hat da eigentlich die militärischen Mittel, um den Gegner zu vernichten?

Ja gewiss, ein gesundes Misstrauen gegenüber dem Iran ist mehr als angebracht angesichts seiner bisheriger Täuschungsmanöver in der Atomfrage. Nur, gerade die Verteufelung des Iran, wie sie von Israel und den US-Republikanern betrieben wird, trägt zur weiteren Radikalisierung und innenpolitischen Stärkung der Falken-Fraktion in Teheran bei. Präsident Hassan Rohani und seine Anhänger hätten es aber verdient, dass man ihnen eine Chance für ihren Versuch einräumt, ihr Land auf einen Reformkurs zu bringen.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2015)

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