Wladimir Putin ist ein Spieler, aber kein Hasardeur

Der russische Staatschef verwirrt das Publikum und ist seinen westlichen Kollegen meistens einen Schritt voraus.

Wie Wladimir Putin zum wichtigsten Mann der Welt wurde, will uns das Berliner Monatsmagazin „Cicero“ im Jännerheft erklären. Wichtigster Mann der Welt? Na ja, Journalismus ist frei nach Sebastian Haffner bekanntlich Zuspitzung – und auch Meinung will verkauft sein. Tatsache aber ist, dass der russische Präsident mit seinen militärischen Manövern in der Ukraine und in Syrien sein Land der Welt nachdrücklich als wichtigen geopolitischen Akteur in Erinnerung gerufen hat. Gregor Schöllgen, Historiker und Biograf Gerhard Schröders, bezeichnet Putin in seinem Aufsatz in „Cicero“ als Spieler, der gern pokere, aber kein Hasardeur sei.

Laut Schöllgen ist das aggressive außenpolitische Auftreten Putins – die Aufhebung jahrzehntelanger Spielregeln wie Unverletzlichkeit der Grenzen und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates – nicht Ausdruck von Stärke: „Im Gegenteil: Putin will unbedingt verhindern, dass ein durch vielfältige innere Konflikte und Defizite sowie durch enorme äußere Verluste erheblich geschwächtes Land noch angreifbarer wird, als es in der Wahrnehmung vieler Russen ohnehin schon ist.“

Schöllgen schreibt aber auch: „Die Schwäche des Westens ist Russlands Stärke.“ Gerade mit seiner Militärintervention in Syrien zeige Putin, dass er am längeren Hebel sitze; er sei seinen westlichen Kollegen auch meistens einen Schritt voraus. Für Schöllgen ist Putin ein „Mann des langen 19. Jahrhunderts“ – und da in vielen Dingen eine Rückkehr in dieses 19. Jahrhundert zu erkennen sei, „ist Putin auf diese neue alte Zeit vorbereitet wie kaum ein Zweiter“.

In einem weiteren Beitrag rekonstruiert das Magazin den Paukenschlag Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, der als Wendemarke in den Beziehungen Moskaus zum Westen gilt – hin zu unverhohlener Feindseligkeit. Eine Rede, die laut Chefredakteur Christoph Schwennicke „ungehört verhallte“. Das ist Unsinn. Der Autor dieser Zeilen kann sich als Augenzeuge des damaligen Putin-Auftritts im Bayerischen Hof an den Aufruhr und Wirbel, den der Russe augenblicklich auslöste, noch gut erinnern.

Der Aachener Politikwissenschaftler Helmut König befasst sich im Jännerheft der Monatszeitschrift „Merkur“ mit der „Lüge in den Zeiten Putins“. In dem klugen Essay analysiert er, wie in staatlich kontrollierten Medien und mittels verdeckt operierender Trollfabriken durch gezielte Desinformation die Medienkonsumenten in- und außerhalb Russlands verwirrt und indoktriniert und der Zynismus gezielt gefördert werden. Dass Putins Lügen- und Propagandagewebe beim Publikum in Russland bereitwillig aufgenommen werde, führt König darauf zurück, dass dort die totalitäre Vergangenheit niemals aufgearbeitet worden sei. Die russische Bevölkerung habe so nie die Erfahrung machen können, „dass gerade der selbstkritische Blick auf die eigene Geschichte zu neuem Selbstbewusstsein und neuer Handlungsfähigkeit beitragen kann“.

Aber: „Die krude Mischung aus Leichtgläubigkeit, Resignation und Zynismus, mit der das Publikum alles hinnimmt, was man ihm erzählt, ist keine wirklich verlässliche und dauerhafte Basis politischer Unterstützung.“ Soll heißen: Trotz fantastischer Umfragewerte könne Putin nicht wissen, woran er wirklich sei, „denn eine Bevölkerung kann dem Potentaten ihre Zuneigung jederzeit auch wieder entziehen“. Das Geheimnis der Macht Putins sieht König darin, „dass er der Sehnsucht nach dem Wiedererstarken des russischen Imperiums ein Gesicht gibt und sie in Handeln umsetzt“. Die treibende Kraft dabei sei eben, Stärke zu demonstrieren.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2016)

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