Über die schlechten und weniger schlechten Kolonialmächte

Zwei Zeitschriften leuchten die Epoche aus, als europäische Mächte die Welt beherrschten – und welche Folgen das hatte.

Vergangenheit, die nicht vergehen will“ – mit einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ unter diesem Titel löste im Juni 1986 der inzwischen 93-jährige Berliner Historiker Ernst Nolte den „Historikerstreit“ aus. Es ging in diesem Streit um einen von Nolte behaupteten Zusammenhang zwischen stalinistischem und nationalsozialistischem Terror und um die Einzigartigkeit des Judenmords. Der Titel würde freilich auch treffend auf die Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus und die Folgen passen. „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, kommt einem immer wieder in den Sinn, wenn man zwei soeben erschienene Zeitschriften studiert, die sich dem Kolonialismus der Europäer widmen.

„Auf den Ruinen der Imperien“ ist der Titel der Nr. 18 der „Edition. Le Monde diplomatique“. In dem Heft wird in 32 Beiträgen Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus beschrieben. Pankaj Mishra, ein indischstämmiger Paradeintellektueller des modernen Asiens, etwa klagt da die „narzisstische Sicht“ von Europäern und Amerikanern auf die Geschichte an, „die auf westliche Ideale, Errungenschaften und Fehler fixiert ist, die einem sinnvollen Verständnis der heutigen Welt aber nur im Wege steht“.

Philipp Ther, Osteuropa-Historiker der Universität Wien, analysiert in dem Heft den deutschen Imperialismus in Polen, beschreibt, wie die Deutschen über die Jahrhunderte die deutsche Herrschaft über Ostmitteleuropa als „kolonisatorische Großtat“ ansahen. Mehrfach machten die Deutschen bei den Teilungen Polens mit. Als Deutschland 1918 seine überseeischen Kolonien verlor, rückte die Wiedergewinnung des kontinentalen Imperiums erneut in den Mittelpunkt: „Die imperiale Dimension des deutschen Nationalismus war am Ende einer der tieferen Gründe für den Erfolg Hitlers“, meint Professor Ther.

Dass dieses Heft nicht nur das Treiben der großen Kolonialmächte – Portugiesen, Spanier, Briten, Franzosen, Niederländer – in Amerika, Asien und Afrika beschreibt, sondern auch den deutschen Kolonialismus in Ostmitteleuropa und im Baltikum, ist besonders lobenswert – ebenso, dass der jahrhundertelange Widerstand der Iren gegen die englische Kolonialherrschaft beleuchtet wird.

Auch die neue Ausgabe von „Der Spiegel. Geschichte“ widmet sich der Kolonialzeit – und auch hier finden sich Beiträge, die weniger bekannte Kapitel des kolonialen Ausgreifens der Europäer behandeln; etwa die imperiale Landnahme Russlands in Sibirien. Dass dieses Kapitel des Kolonialismus nicht so präsent ist, mag damit zusammenhängen, dass die Russen anders vorgingen: „Die russischen Methoden waren oft ähnlich brachial, aber flexibler als die anderer Imperialmächte. Denn die ethisch gemischte Staats- und Militärelite bot den Unterworfenen Integrations- und Aufstiegschancen.“

Gab es am Ende gute Kolonialmächte und weniger gute – oder besser: schlechte und weniger schlechte? Was sich unterschied, waren eben die Herrschaftsmethoden, aber bei allen Kolonialmächten spielten Gier und Arroganz, Missionierungsdrang und das Überlegenheitsgefühl über vermeintlich Unzivilisierte eine bestimmende Rolle. Im Beitrag über die Berliner Afrika-Konferenz von 1884, bei der der Kontinent aufgeteilt wurde, heißt es: „Keine der Kolonialmächte hat sich bis hin zur Entkolonialisierung mit Ruhm bekleckert, keine hat durchgehend gut und fair regiert. Afrika wurde von allen fremden Herren ausgebeutet, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß.“ Dieser Befund gilt nicht nur für Afrika.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.