Polen wohin? Zu Putin, zu Orbán - oder zum Vichy-Frankreich?

Das politische Klima ist vergiftet. Man ist entweder für oder gegen die Politik von"Präses" Jarosław Kaczyński.

Es ist müßig, weiter darüber zu grübeln, warum die Polen im Oktober 2015 eine international geachtete, für gute Wirtschaftsdaten verantwortliche, gesellschaftspolitisch liberale Regierung abgewählt haben und stattdessen eine rechtsorientierte, mit der liberalen Demokratie auf Kriegsfuß stehende, allerlei Verschwörungstheorien anhängende und ultrakatholisch ausgerichtete Partei an der Macht sehen wollten. Die Mehrheit der Wähler hat eben so entschieden.

Inzwischen erleben wir, was wir seit der Machtübernahme Viktor Orbáns in Ungarn kennen: Die Politik der jetzigen Regierung in Warschau vergiftet das politische Klima, führt zur verschärften Polarisierung in der Gesellschaft, die inzwischen auch in den polnischen Exilgemeinden zu beobachten ist: Man ist für oder gegen die Politik von „Präses“ Jarosław Kaczyński, dem starken Mann der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Hintergrund. Dazwischen wird der Platz für eine differenzierte Betrachtung immer enger.

In der Märznummer der Berliner Monatszeitschrift „Cicero“ kommen in einem Beitrag über die „Polnische Tragödie“ zwei dieser entgegengesetzten Stimmen zu Wort. Der Breslauer Historiker Alexander Paron weist die Warnung vor einer „Putinisierung Polens“ als „Unsinn“ zurück: „Ich sehe in Polen keine Diktatur im Anmarsch [. . .] Kaczyński ist kein leichter Typ, aber er ist kein Putin.“ Dagegen sagt die Warschauer Soziologin Jadwiga Staniszkis, eine frühere Sympathisantin der PiS: „Die Art und Weise, wie die PiS regiert, lässt sich nur als Bolschewismus von rechts beschreiben. Was wir derzeit erleben, das ist der traditionell autoritäre, rückwärtsgewandte Regierungsstil des Ostens [. . .] Es ist schlicht infantil.“

Nicht an Orbán oder Putin, sondern an das französische Vichy-Regime fühlt sich der in Krakau lebende Schriftsteller Adam Zagajewski erinnert, in Berlin gerade mit dem renommierten Jean-Améry-Preis ausgezeichnet. „Die neue Regierung versucht, einen riesigen ideologischen Schleier auszubreiten: Nation, Kirche, Familie, Patriotismus, Tradition. Das Vichy-Regime unterstützte Arbeit, Familie, Vaterland. So ähnlich soll es jetzt bei uns werden“, erklärte er der „Neuen Zürcher Zeitung“ zuletzt in einem Interview.

Auch die Monatszeitschrift „Le Monde diplomatique“ untersucht in ihrer jüngsten Ausgabe die „polnische Wandlung“ und weist auf ein mächtiges Antriebsmotiv der in Warschau Regierenden hin: die Rolle Polens als Opfer. „Für die PiS ist Polen ein Land, das immer wieder Opfer der Großmachtpolitik wurde und nur dank seines Patriotismus und dank seiner Religion überleben konnte.“ Polen als Opfer der Großmächte, die Kirche als Opfer des Laizismus, die Familie als Opfer des Liberalismus, die PiS als Opfer anderer Parteien, Medien und Institutionen. Deshalb gehören Staat und Gesellschaft umgebaut, deshalb die Blockierung des Verfassungsgerichts, deshalb die Gleichschaltung der Staatsanwaltschaft, deshalb die Zügelung der Medien, deshalb die Kampfansage an die „große Lüge“.

Klar auch, dass in diesem Klima Verschwörungstheorien blühen und gedeihen: Der Flugzeugabsturz in Smolensk 2010, bei dem Präsident Lech Kaczyński und 95 weitere Passagiere an Bord ums Leben kamen, war nicht Folge eines Pilotenfehlers beim Landeanflug im dichten Nebel, wie zwei Untersuchungskommissionen festgestellt haben, sondern Folge einer Bombenexplosion an Bord. Da wäre es auch nicht weiter verwunderlich, würde demnächst ein PiS-Politiker die Behauptung aufstellen, Russlands Präsident, Wladimir Putin, persönlich habe die Bombe an Bord geschmuggelt [. . .]

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2016)

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