Will Xi Jinping China zu einem weiteren Nordkorea machen?

Die Politik des chinesischen Staats- und Parteichefs gibt Rätsel auf. Politische Magazine suchen nach Erklärungen.

Auf Xi Jinping, den chinesischen Staats- und Parteichef, sind im Moment viele Kameras und Mikrofone gerichtet. In der Volksrepublik sowieso – und dort gezwungenermaßen. Im Westen beschäftigen sich die Medien mit dem Chinesen, weil seine Politik zunehmend Rätsel aufgibt. Zuletzt schaffte es Xi auf die Titelblätter des Londoner „Economist“ und des US-Magazins „Time“. Das ist dem „Vorsitzenden Xi“, der den Kult um seine Person offenkundig genießt, vielleicht sogar recht. Aber die westlichen Beobachter sehen gerade diesen an die Mao-Ära erinnernden Personenkult zusammen mit anderen Entwicklungen in China sehr, sehr kritisch. Bedenklich scheint etwa auch die Machtfülle, die Xi seit seiner Amtsübernahme 2012 sukzessive erweitert hat.

„Time“ schreibt, Xi habe sich immer tiefer in die Welt Maos zurückgezogen: „Personenkult, Hochhalten des Staatssektors und Hetzpropaganda gegen das Ausland, das insgeheim beabsichtige, China zu zerstören.“ Zitiert wird der China-Kenner von der George Washington University, David Shambaugh: „Die westlichen Länder sollten berücksichtigen, dass die chinesische KP sich in einen scharfen ideologischen Konflikt mit dem Westen, vor allem mit den USA, verstrickt sieht.“ Das erinnert an die Außensicht Moskaus.

Der „Economist“ zitiert den australischen Sinologen Geremie Barme, der Xi als „COE“ tituliert – „Chairman of Everything“, also Vorsitzender von allem. Das Magazin hält Xi für einen viel ärgeren „Mikromanager“, als es Mao jemals war. Bei seinem Kampf gegen die Korruption und dem Umbau der Streitkräfte gehe es ihm vor allem um eines – die bessere Kontrolle über den Lauf der Dinge: „Xi ist darauf aus, seine Partei zu stärken und sich selbst an der Macht zu halten, aber nicht darauf, aus China eine wohlhabendere und offenere Gesellschaft zu machen, nach der sich die Bürger sehnen.“

In der US-Zeitschrift „The American Interest“ fragt Professor Minxin Pei vom kalifornischen Claremont McKenna College, ob für die chinesische KP die Dämmerung angebrochen sei. Er argumentiert, dass Xi gerade dabei sei, alle drei bisherigen Machtstützen der KP zu zertrümmern: Die kollektive Führung werde durch eine auf Xi zugeschnittene ersetzt; es gebe keine persönliche Sicherheit mehr für die Spitzenkader; die Aufteilung der Profite aus dem Wirtschaftswachstum unter der Elite habe Xi mit seiner Antikorruptionskampagne zunichte gemacht. Deshalb drohe die „Einheit unter den herrschenden Eliten zu kollabieren“.

Laut Minxin Pei stehen Xi drei Optionen offen, sich und die Partei an der Macht zu halten: Verführung bzw. Bestechung der Bevölkerung mittels materieller Wohltaten, Unterdrückung der Bevölkerung mittels Gewalt und Verbreitung von Frucht, Schüren der nationalistischen Gefühle. Obwohl Unterdrückung teuer komme und Nationalismus gefährlich werden könne, zeige Xis Politik, dass genau diese beiden Dinge in seiner Strategie eine immer wichtigere Rolle spielten. Aber: „Wenn Chinas KP glaubt, dass das Anziehen der Repressionsschraube und das Schüren des Nationalismus in einer Periode der Verwirrung innerhalb der Elite, eines schwächer werdenden wirtschaftlichen Auftritts und wachsender sozialer Spannungen ihr den Machterhalt ermöglichen, muss sie sich doch das enorme Risiko einer derartigen Überlebensstrategie anschauen. Nicht nur, dass sie China rückwärts führt, sie ist auch gefährlich und schwer durchzuhalten.“ Dann stellt Minxin Pei die Kernfrage: „Ist China wirklich dazu bereit, ein anderes Nordkorea zu werden?“

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2016)

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