Deutsch-österreichische Verständnisschwierigkeiten

Und auf einmal war Österreich wieder im Blickfeld internationaler Medien; alte Kritik wurde neu aufgewärmt.

Wolfgang Schüssel, Österreichs früherer Bundeskanzler, hadert mit den deutschen Nachbarn. „Warum diese herbe Kritik?“, fragt er in der jüngsten Nummer des Berliner Monatsmagazins „Cicero“ und sucht nach Antworten. Nicht nur er: Mit einer gewissen Verwunderung nahm man am Wahlwochenende den Ansturm von Hunderten ausländischen Journalisten zur Kenntnis. Manche von ihnen werden tatsächlich erwartet haben, in Wien am 22. Mai Zeuge der Machtübernahme eines – heimlichen – Neonazi zu werden.

Schüssel hat, wie erwähnt, die deutschen Nachbarn im Auge – und da ihr politisches Leitmagazin, den Hamburger „Spiegel“: „Österreich als ,Law and Border‘-Fraktion, Größenwahn und Trittbrettfahrer, Seehofers Schoßhunderl, Traum von der Rückkehr der Donaumonarchie, das Wiener Kongresschen, ein Land im Kampf gegen den Rest der Welt. So weit einige der engnachbarlichen Freundlichkeiten.“ Leider wird nicht klar, auf welchen „Spiegel“-Beitrag sich Schüssel da bezieht. Vielleicht ärgerte ihn die – tatsächlich grottenschlechte – Karikatur, die der jüngsten mehrseitigen Österreich-Analyse von vier Autoren (Nr. 20/2016) vorangestellt war.

Die Analyse selbst allerdings kann er wohl kaum gemeint haben, denn die ist in ihrem Grundton fair und sachlich: „Das Verhalten der Nachbarn irritiert“, heißt es da, „gerade Deutschland hat ja öfters Verständnisschwierigkeiten für das, was sich in Österreich tut. Ein kleiner Staat mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern. Der keine Ratschläge und nicht als kleiner Bruder behandelt werden möchte.“ Genau das fordert Schüssel auch in seinem Cicero-Beitrag ein: „Kleine und mittlere Staaten sind eben besonders sensibel gegenüber Vereinnahmung, Bevormundung, Abwertung – in der Disziplin ,Selbstverzwergung‘ sind wir Österreicher ohnehin medaillenverdächtig. Dafür brauchen wir keine ,Hilfe‘ vom Nachbarn“, schreibt der Ex-Kanzler. Und: „Sticheleien ja, aber keine Rechthabereien auf dem Rücken des Nachbarn.“

Rechthaberisch aber kommt die „Spiegel“-Geschichte nicht daher. Wenn es in ihr Kritik am politischen und gesellschaftlichen Zustand des Landes gibt, wird diese von interviewten Österreichern artikuliert. Wie insgesamt das Bild von Österreich, das in den vergangenen Tagen in die Welt hinausprojiziert wurde, sich überwiegend aus Erklärungen zusammensetzt, die Intellektuelle, Journalisten oder Politiker gegenüber ausländischen Journalisten abgaben.

Durch die Präsidentenstichwahl schaffte es Österreich auch wieder einmal auf die Seiten des Londoner „Economist“ – und das gleich in zwei Ausgaben. Und wie lang ist es wohl zurück, dass der „Economist“ Österreich sogar einen Leitartikel gewidmet hat? Der befasste sich allerdings mehr mit „Österreich als Vorreiter: In ganz Europa werden weit rechts stehende Parteien zu groß, um sie weiter ignorieren zu können.“

In zwei Artikeln wiederholt das britische Magazin seine Hauptkritik: Österreichs Versagen, mit seiner Komplizenschaft während des Dritten Reichs ins Reine zu kommen. Österreich habe auch niemals eine so sorgfältige Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit vorgenommen wie Deutschland. Wir kennen den Vorwurf seit Jahren. Und wir haben ausländischen Kollegen, die ihn machen, schon vor 16 Jahren dringend empfohlen, sich einmal an den österreichischen Universitäten umzuschauen und umzuhören, was da an Arbeit zur NS-Aufarbeitung so geleistet wird. Aber Stehsätze nachzuplappern ist halt immer leichter als selbst zu recherchieren . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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