Neonationalismus: Eine Kraft, die nicht mehr zu stoppen ist

Magazine suchen nach Erklärungen für die Gewichtsverschiebungen in der politischen Landschaft nach rechts.

Der – vom größten Teil der Medien – unerwartete Sieg des politischen Quereinsteigers Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl hat überall Schleusen geöffnet. Nicht nur seine Anhänger und Wähler schäumen seit Wochen über vor Freude, auch politische Gesinnungsfreunde des Republikaners überall auf der Welt spüren Oberwasser. Und während die in den vergangenen Jahrzehnten politisch tonangebenden Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten besorgt fragen, „Was kommt als nächstes?“, erschallt das Triumphgeheul des Rechtsaußenlagers: „Jetzt kommen wir!“

Es ist unbestreitbar: Vor allem das in den letzten Jahren immer virulenter gewordene Flüchtlingsthema hat die Gewichte in der Parteilandschaft immer weiter nach rechts verschoben. Umso leichter tun sich Parteien wie die FPÖ, die seit Jahrzehnten die Abgrenzung gegenüber Ausländern und die Angst vor Überfremdung zu ihrem Kernthema gemacht haben, vorneweg auf der anschwellenden Welle des Rechtspopulismus und des Neonationalismus zu surfen. Kein bedeutendes internationales Magazin, das sich derzeit nicht mit dieser Welle beschäftigen würde und nach Entstehung, Wirkung und Folgen der Entwicklung fragt. Dabei fällt auf: Die FPÖ, auch wenn sie in Europa zur Avantgarde des rechtspopulistischen Spektrums gehört, kommt in den meisten internationalen Analysen nur am Rand oder in Fußnoten vor. Zu den großen Ideengebern der ganzen Bewegung jedenfalls dürfte sie nicht zählen.

Umso mehr schauen alle nach Frankreich, wo im Frühjahr gewählt wird und wo Marine Le Pen vom Front National gute Chancen hat, die nächste Staatspräsidentin zu werden. Denn Madame le Pen hat es in der Hand, die EU in die Luft zu sprengen, wie der britische „Economist“ in seiner letztwöchigen Titelgeschichte über den „Neuen Nationalismus“ befürchtet.

Foreign Affairs“, das außenpolitisch einflussreiche US-Magazin, widmet in seiner neuesten Ausgabe der „Macht des Populismus“ einen Schwerpunkt und hat dazu ein Interview mit Marine Le Pen geführt. Sie wiederholt darin, dass sie, einmal gewählt, ein Referendum über Frankreichs EU-Mitgliedschaft abhalten lassen werde – und wenn eine Mehrheit der Landesleute „Ja zum Frexit“ sagen würde, „werden wir die EU verlassen“. Eine Isolierung Frankreichs befürchtet sie durch einen solchen Schritt nicht.

Der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, wirft sie vor, mit ihrem Modell zwar ihrem Land zu nützen, „aber Deutschlands Nachbarn damit umzubringen“. Le Pen will in Europa auch wieder die Grenzen hochziehen und kündigt eine eisenharte Politik gegenüber Einwanderern, vor allem muslimischen, an. So soll, wer in Frankreich geboren ist, nicht mehr automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen. Das französische Modell zum Umgang mit Migranten sei auch nicht Integration, sondern Assimilation.

Das konservative britische Magazin „The Spectator“ sieht ebenfalls einen „gewaltigen Paradigmenwechsel“ in der westlichen Welt. Der Wahlsieg Trumps und auch der Brexit seien nur die letzten Manifestationen dieses Wechsels – dies sei eben „die neue Normalität“. Der Kommentator sieht im Geschehen von 2016 eine Umkehrung von 1968, ein Korrektiv zur Globalisierung und eine Gegenbewegung zu schrankenlosem Liberalismus und übertriebener politischer Korrektheit. „Die Liberalen sind auf die falsche Seite der Geschichte geraten“, heißt es da, „was wir gerade miterleben, ist eine Kraft, die nicht mehr zu stoppen ist“.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2016)

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