Die verkrustete Welt hinter den Steinmauern der grünen Insel

"Cicero" zeigt Irlands weniger schönen Seiten auf. "Foreign Affairs" rät Deutschen: "Keine Atombombe, bitte!"

Tausende Urlauber aus Österreich werden auch in diesem Sommer wieder durch Irland getourt sein, die freundlichen Inselbewohner, die beruhigende grüne Landschaft, die sauber hergerichteten Städte und ein Glas Guinness oder Smithwicks genossen haben. Für Reisende, die überfüllte Meeresstrände meiden und lieber etwas über ein Land und seine Leute dazulernen wollen, ist die grüne Insel in den vergangenen Jahren zu einem immer beliebteren Ziel geworden. Doch die touristische Fassade ist das eine, die gesellschaftliche Realität das andere. Gut, viele reisen gerade darum in andere Länder, weil sie die Probleme und politischen Streitereien im eigenen Land für ein paar Tage hinter sich lassen wollen – warum sollten sie sich dann mit den Problemen und Streitereien in ihrem Urlaubsland beschäftigen?

Eine Reportage von Christian Ignatzi im Augustheft des Berliner Magazins Cicero ist da so eine Art Augenöffner. Zwar sind in den letzten Jahrzehnten viele der gesellschaftlichen Verkrustungen, für die die erzkonservative irische katholische Kirche wesentlich Verantwortung trug, aufgebrochen. Vor allem die zahlreichen Missbrauchsskandale haben das Image der Kirche nachhaltig beeinträchtigt. Doch eine Verkrustung ist in Irland offenkundig geblieben: das „Stonewalling“, das systematische Totschweigen von Vetternwirtschaft und Korruptionsfällen. Auf der Insel wird verleumdet und vertuscht, die irische Polizei gehört laut Transparency International zu den undurchsichtigsten der westlichen Welt, auf der Korruptionsskala spielt Irland in einer Liga mit Südamerika.

Ignatzi zitiert die Aufdeckerjournalistin Gemma O'Doherty: „Das Problem in Irland sind die sehr engen Beziehungen zwischen Medien, Polizei und Staat, was dazu führt, dass wir Journalisten nicht unseren Job machen können.“ Ignatzi musste das selbst erleben. Als er im Fall Stephen Manning, der in die Mühlen des ebenfalls undurchsichtig agierenden irischen Justizapparats geraten war, nachrecherchieren wollte, biss er bei den irischen Behörden auf Granit. „Stonewalling“ eben. Manning will seinen Fall inzwischen vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Zwar ist richtig und wichtig, dass Institutionen wie die Europäische Kommission oder die Venedig-Kommission des Europarats sich genau anschauen, wie da in Polen und in Ungarn am Justizsystem herumgedoktert wird. Vielleicht sollten sie ihren scharfen Blick aber auch Richtung Westen werfen, ob denn da rechtsstaatlich alles mit rechten Dingen zugeht. Nach Irland zum Beispiel.


Das Augustheft von Foreign Affairs widmet sich in einem von Ulrich Kühn und Tristan Volpe verfassten Aufsatz der Frage, ob angesichts der transatlantischen Turbulenzen für Deutschland nicht auch die Zeit gekommen wäre, sich nuklear zu bewaffnen. Die Autoren führen dabei eine Reihe von Argumenten an, die sie zu dem Schluss kommen lassen: „Keine Atombombe, bitte!“ Das wahrscheinlich Wichtigste dabei: In der deutschen Bevölkerung herrscht eine breite Anti-Atom-Stimmung (93 Prozent der Befragten befürworteten in einer Umfrage im März 2016 ein internationales Verbot von Kernwaffen), die Anschaffung von Nuklearwaffen würde auf massiven Widerstand stoßen und könnte schwere innere Unruhen auslösen. Aber gesellschaftliche Stimmungen sind nicht statisch: Hält die Unsicherheit weiter an, die US-Präsident Donald Trump mit seiner sprunghaften Außen- und Sicherheitspolitik in der westlichen Welt verbreitet, werden auch die Rufe nach einer atomaren Bewaffnung Deutschlands – oder auch Japans – nicht verstummen.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2017)

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