Die Welt nach einem Niedergang der USA – das globale Chaos?

Zbigniew Brzezinski sieht derzeit keinen anderen großen Staat, der in die Fußstapfen der Weltmacht Amerika treten könnte.

Die USA auch weiterhin als führende globale Ordnungsmacht – oder aber das weltweite Chaos. Klar, dass ein amerikanischer Politikwissenschaftler so argumentiert. Aber Zbigniew Brzezinski ist nicht irgendein Beobachter vom Elfenbeinturm der akademischen Welt, sondern ein erfahrener Außenpolitiker, der unter US-Präsident Jimmy Carter als Sicherheitsberater gedient hat. In der neuesten Ausgabe von „Foreign Policy“ sucht er nach Antworten auf die Frage, wie die Welt nach einem Niedergang der Weltmacht Amerika aussehen könnte.

Brzezinski sieht weder Indien, noch Japan noch Russland, geschweige denn einen der großen westeuropäischen Staaten als Mächte, die in die heutigen Fußstapfen der USA treten könnten – und auch nicht China: „Ein herumstolzierendes, nationalistisches China würde unbeabsichtigt eine mächtige Gegenkoalition mobilisieren. Keiner seiner wichtigsten Nachbarn – Indien, Japan und Russland – wäre bereit, Chinas Anspruch anzuerkennen, den Platz Amerikas als globaler Totempfahl einzunehmen.“

Der Ex-Politiker sieht insbesondere Georgien, Taiwan, Südkorea, Weißrussland, die Ukraine, Afghanistan, Pakistan, Israel und die Nahost-Region in exponierter Lage. Deren weiteres Schicksal sei eng mit der weltpolitischen Führungsrolle der USA verknüpft. Fahren die Amerikaner ihr globales Engagement zurück, könnten sich diese Staaten unversehens den imperialen Gelüsten großer Nachbarn oder regionaler Rivalen ausgesetzt sehen.

Auch gemeinsame globale Interessen wie offene Seewege, Zugang zum Cyberspace und zum Weltraum oder Umweltschutz sieht Brzezinski im Falle des Niedergangs der USA gefährdet (was für eine führende Rolle die USA heute beim internationalen Umweltschutz spielen, führt er bezeichnenderweise nicht aus). Jedenfalls: „Diejenigen, die heute vom Niedergang Amerikas träumen, könnten das möglicherweise noch einmal bitter bereuen. Eine Welt nach Amerika wäre komplizierter und chaotischer.“

Pakistan gehört zu den Ländern, von denen – mit oder ohne weltpolitische Dominanz der USA – das meiste Ungemach ausgehen könnte: weil es mit 180 Millionen zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt gehört (sechster Platz); weil es schon bald das fünftgrößte Atomwaffen-Arsenal der Welt haben könnte; weil es ein Rückzugs-, Rekrutierungs- und Ausbildungshort für islamistische Terrorgruppen ist; weil es in historischer Todfeindschaft mit dem ebenfalls atomar bewaffneten Indien verharrt. Gerade wird wieder viel über einen neuerlichen Militärputsch spekuliert, auch eine gemeinsame Herrschaft von Militärs und Islamisten scheint nicht unwahrscheinlich – mit allen Konsequenzen, die das für Süd- und Zentralasien und darüber hinaus haben könnte.

In der neuen Ausgabe der „Internationalen Politik“ meint der frühere CIA-Analytiker Bruce Riedel deshalb: „Für jeden Bereich, der für die USA und für viele andere Staaten von ausschlaggebender Bedeutung ist, spielt Pakistan eine zentrale Rolle. Wir sollten diesem Land alle Aufmerksamkeit schenken.“ Riedel plädiert für eine neue westliche Politik gegenüber Pakistan – konkret: eine Strategie der Eindämmung. Ziel der USA müsse es sein, die Ambitionen der machthungrigen pakistanischen Armee in Schach zu halten und auf eine „echte Herrschaft der Zivilisten“ in Islamabad zu drängen. Auch sollte in den Beziehungen zu Islamabad ein „System der Rechenschaftspflicht“ eingeführt werden und etwa pakistanische Geheimdienstler oder Militärs, die in terroristische Aktionen verstrickt seien, auf internationale Fahndungslisten gesetzt werden.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2012)

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