Der Luxus, beim Kind zu sein

Mama fehlteWas braucht das Kind, 24. Februar
Als ich mit sechs in die Volksschule kam, hatte ich bereits fünf Jahre ganztags in Kinderkrippe und Kindergarten verbracht. Wer mir bis dahin am meisten fehlte: meine Mama. Sie war ganztags berufstätig und gab sich alle Mühe, für mich die besten Betreuungsplätze zu sichern. Der Alltag meiner Mutter war geprägt davon, sich ständig zu hetzen, und ich hetzte im Gleichschritt mit. Für unser Familienleben blieben rund 2 Stunden, die Zeit zwischen dem Abholen vom Hort (17.30 Uhr) bis zum Schlafengehen (19.30 Uhr). Wir haben beide unter der Situation gelitten: Sie, weil sie mein Heranwachsen quasi „en passant“ erlebte; ich, weil die beste Kinderkrippe, der beste Kindergarten nicht die Wärme bot, die ich als Kleinkind gerne gehabt hätte.

Wenn ich im „Spectrum“ lese, wie despektierlich sich Iris Radisch über Teilzeitarbeit äußert, wenn ich im Leitartikel lese, dass das Um und Auf einer modernen Erziehung die Errichtung von Krippenplätzen sei, wird mir schlecht. Heute bin ich 32, Akademikerin und Mutter zweier Söhne, 0 und 2 Jahre alt. Bis zur Geburt meines ersten Sohnes erlebte ich einen erfüllten Arbeitsalltag in einem großen Unternehmen. Nun stecke ich eben all meine Energien und Fähigkeiten in meine Familie und fühle mich weder ausgenutzt noch überqualifiziert. Ich verstehe nicht, was daran gut sein soll, 4, 5 oder 9 Monate alte Babys in eine Kinderkrippe zu stecken. Ich bin heilfroh darüber, bis zum 2.Geburtstag meines Jüngeren selbst für die Erziehung meiner Kinder zuständig zu sein, und ich schäme mich auch nicht dafür, mich finanziell zurückzunehmen, bis ich wieder erwerbstätig sein werde. Das österreichische Modell ist vollkommen in Ordnung, so wie es ist. Die Flexibilisierung des Kindergeldes empfinde ich als eine positive Erweiterung für jene, die früher ins Berufsleben zurückkehren wollen oder müssen. Aus meiner Studienzeit habe ich viele Freundinnen in Belgien. Sie alle beneiden mich um meine zwei Karenzjahre und um die Möglichkeit, danach im alten Job Teilzeit zu arbeiten. In diesem Sinne wäre wohl jeder Fortschritt in Richtung „europäisches Modell“ ein Rückschritt...

Mag. Britta Brehm-Cernelic
2380 Perchtoldsdorf

Müssen uns anstrengenWie zu lesen war, „sind Österreich-weit gerade einmal 12 Prozent der Null- bis Dreijährigen in Krippen versorgt“. Da müssen wir uns freilich anstrengen, wenn, dem Wunsch der EU entsprechend, bis 2010 ein Anteil von 33 Prozent erreicht werden soll. Aber selbst dann bliebe Österreich noch ein Entwicklungsland im Vergleich zu Schweden, wo es jetzt schon 76 Prozent sind. Momentan müssen 88 Prozent aller österreichischen Babys und Kleinkinder daheim bei ihren Müttern bleiben, anstatt in öffentlichen Kinderkrippen aufbewahrt zu werden, wo sie ja von Natur aus hingehören. Ihre Mütter hängen faul zu Hause herum, anstatt sich hinter Supermarktkassen oder neben Leibschüsseln selbst zu verwirklichen und Karriere zu machen. Weitere Defizite hat Österreich übrigens auch in der Mordstatistik. Mit 0,9 Morden pro 100.000 Einwohner erreichen wir nicht einmal den EU-Mittelwert von 1,5 – ganz zu schweigen von den eindrucksvollen 10,4 in Estland. Da haben wir noch viel aufzuholen, weil wir ja bei allen Vergleichen im Spitzenfeld liegen wollen, oder?

Mag. Erika Gossler
Graz

Möchte meine Kinder spürenAls Mutter zweier Kinder (16 Monate und 5 Jahre) habe ich mit Interesse ihre Artikel zur Kinderbetreuung gelesen. Ich selbst werde im Herbst dank der Hilfsbereitschaft meiner Schwiegermutter meinen Beruf als AHS-Lehrerin wieder aufnehmen (Teilzeit). Ein Widerspruch im Rahmen dieser Rubrik hat mich besonders dazu bewegt, diesen Brief zu schreiben. Ein Kinderpsychiater äußert sich positiv zur Kinderbetreuung für die Allerkleinsten, wenn gewährleistet ist, dass sich die Eltern nach Ende des Krippen-Tages liebevoll und zärtlich um das Kind kümmern. In einem der folgenden Artikel wird dann der Kindergarten bis in die späten Abendstunden gepriesen, weil die Kinder ja ohnehin zuhause schlafen. Das ist für mich persönlich zu wenig. Auch dass 3-Monate-alte Babys ihr Stillpaket in die Krippe mitbekommen und die Mamis per E-Mail über die Entwicklungsfortschritte ihrer Kinder informiert werden, kann ich nur als einen Auswuchs eines zunehmend virtuellen Lebens bezeichnen. Ich möchte meine Kinder spüren, halten und bei ihnen sein, auch wenn es oft anstrengend und nervenaufreibend sein kann, sich ausschließlich um die Erziehung der Kinder zu kümmern.

Auf jeden Fall befürworte ich die Wahlfreiheit für Frauen, muss mich aber gegen ein System verwehren, in dem Babys nach Ablauf des Wochenschutzes abgegeben werden. Das kann nicht gut oder förderlich sein für die zukünftige Entwicklung unserer Jugend.

Mag. Petra Paradeiser

3481 Fels am Wagram

Subjektive BefindlichkeitenZu suggerieren, dass außerfamiliäre Betreuung unter 3 Jahren die Bindung an die primäre Bezugsperson nicht stört, ist gelinde gesagt zumindest diskutabel. Die wenigen vorliegenden validen Studien zu diesem Thema stammen aus dem früheren Osteuropa, wo zumindest in der damaligen CSSR die Qualität der Krippen nicht schlecht war. Die Parameter hinsichtlich erhöhter Mortalität, Beeinträchtigung der Vitalfunktionen, das Auftreten von Frühstörungen als Bedingung der Möglichkeit späterer Fehlentwicklungen (Sucht, Kriminalität) können nachgelesen werden (Dunovsky, 1990, Matejcek, 1990). Ökonomischer Utilitarismus (ständige Verfügbarkeit weiblicher Arbeitskraft) und gesellschaftspolitische Nah- und Fernziele (Feminismus, Gender Mainstreaming) dürfen nicht dazu führen, ökonomische und gesellschaftliche „Realitäten“ mit möglichst guten Kinderkrippen zu „behübschen“.

Die eigentliche Frage ist doch: Was brauchen Kleinkinder wirklich? Wer sich mit Kinderpsychiatrie und vor allem auch mit Humanethologie und Gehirnforschung beschäftigt, weiß, dass gerade eine stabile Bindung an die primäre Bezugsperson (in den meisten Fällen die Mutter) die Bedingung der Möglichkeit einer gesunden Lebensentfaltung ist. Wenn pädagogische Anthropologie nicht von der Natur des Menschen, sondern nach subjektiven Bedürfnissen (Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Karriere etc.) betrieben wird, ist der wissenschaftstheoretische Blick nicht valide, weil nicht a priori vom Kind und seinen natürlichen Bedürfnissen, sondern von der subjektiven Befindlichkeit einer Gesellschaft ausgegangen wird.

Prof. Dr. Martin Vogelhuber
Erziehungswissenschaftler, 4400 Steyr

Zumutung Kind und KarriereIch bin Mutter von vier Kindern und sehe das als riesengroße Verantwortung. Ich putze, koche, backe, wasche, ich pflege, betreue, erziehe, höre zu, tröste, nehme in den Arm, fördere die Entwicklung, so gut ich kann – und das rund um die Uhr. Ich empfinde es als Luxus, bei meinen Kindern zu Hause zu sein. Für die Diskussion um mehr Kinderbetreuungsplätze habe ich nur wenig Verständnis. Frauen Karriere und Kind aufzuhalsen, sehe ich als Zumutung. Wünschen würde ich mir mehr Anerkennung für das, was Frauen leisten, die „nur“ zu Hause sind. Und zumindest für alleinerziehende Mütter sollte es auch eine regelrechte Bezahlung geben. Keine Mutter soll arbeiten müssen. Denn zu Hause wartet auf sie die wichtigste Aufgabe der Welt.

Karin M. Heigl
2602 Blumau-Neurisshof

Erziehungscamps für Babys?Wir sind eine Gesellschaft, welche es nach über vier Milliarden Jahren Leben geschafft hat, über ihren eigenen biologischen Schatten zu springen und zu vergessen, wie sie ihre Nachkommen aufziehen soll! Wahrlich eine Leistung! Oder schreiben Sie hier für eine Oligarchie, welche nur arbeitende und konsumierende Ameisenmenschen braucht? Dann würde ich vorschlagen, die Neugeborenen in Erziehungscamps zusammenzufassen, um die Mütter an ihren Arbeitsplätzen zu belassen. Die Kinder selbst kann man zu willenlosen Drohnen erziehen. Unsere westliche Gesellschaft, welche bis jetzt nur Unfug anstellte, wird mit Ihrer Hilfe, indem Sie gegen eine evolutionsbiologische Erziehung schreiben, noch grausamer werden!

Horst van Berg

6162 Mutters bei Innsbruck

Fleißige MütterIst es wirklich erstrebenswert ein Kind zu bekommen und es gleich wieder wegzugeben? Jede Mutter und auch jeder Vater können noch genug arbeiten, wenn sie wollen bis an ihr Lebensende, und dann werden alle sagen, so fleißig war er bzw. sie. Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden. Eine Mutter, die ihr Kind umsorgt, die ist besonders fleißig. Wenn dann hier noch wer meint, ein Kind zu bekommen und es großzuziehen, ist nicht identitätsbildend, und dass man nur über die Arbeit Anerkennung und Selbstvertrauen bekommen kann, dann finde ich das sehr schade. Es gibt genug Themen für engagierte Eltern, wie zum Beispiel die Erziehung, die viel komplexer und langwieriger sind als die Relativitätstheorie oder eine Herztransplantation.

Als letztes noch kurz zur Diskussion über die Schaffung von Betreuungsplätzen: Unserem Staat ist es 450 Euro im Monat wert (14,50 Euro pro Tag), ein Kind zu erziehen. Was kostet ein Betreuungsplatz in einem Pflegeheim oder ein Krankenhausaufenthalt für einen Monat? Man sollte das viele Geld, das viele neue Betreuungsplätze kosten, den Familien geben. Mütter bzw. Väter, die Kinder erziehen, arbeiten härter, und noch dazu sind Mama und Papa sicher besser fürs Kind als noch so qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen! Dann werden wir wieder viele Kinder bekommen, weil es einfach schön ist, Kinder nicht nur zu haben, sondern sich auch um sie zu kümmern!

Johannes Dammerer
3390 Melk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2007)

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