Heuchelnde Politiker und intellektuelle Hütchenspieler

Blutalkoholwert genügt nichtLaut Berichterstattung wurde bei Dr. Jörg Haider ein Blutalkoholspiegel von 1,8‰ festgestellt. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass insbesondere im Fall von Unfallopfern mit tödlichen Verletzungen ein Rückschluss auf den Blutalkoholgehalt vor Eintritt des Todes äußert komplex ist und weiterer Analysen bedarf. Möglicherweise wurden derartige Daten zur Bestätigung des Befundes einer Alkoholisierung erhoben, aber nicht veröffentlicht. Problematisch für die Ermittlung des Blutalkoholgehaltes vor dem Tod sind sowohl die Produktion von Alkohol beim Umsatz von Zucker durch Bakterien als auch die Verteilung von nicht resorbiertem Alkohol im Magen durch Diffusion oder Erbrechen. Innerhalb weniger Stunden nach dem Tod gelangen Bakterien in die Venen der Leber, schon nach sechs Stunden dringen sie bis in die Zentralvenen, ein Prozess, der durch schwere Verletzungen begünstigt wird.

Welche Mengen an Alkohol über diesen Weg ins Blut gelangen, ist kaum vorhersagbar, wie das Beispiel des Zugführers beweist, der 1975 bei einem Frontalaufprall gegen eine Wand der Londoner U-BahnStation Moorgate starb. Mehrere Proben wurden aus unterschiedlichen Blutgefäßen seiner Leiche entnommen, und die Alkoholkonzentration im Blut variierte von 0,2 bis 0,8‰. Eine verlässliche Methode hingegen ist die Bestimmung des Alkoholgehaltes im Glaskörper des Auges, weil dieses vor Bakterienkontamination geschützt ist. Beim Chauffeur von Lady Diana nach dem Unfall 1997 wurden 1,75‰ Alkohol im Blut festgestellt. Die Konzentration im Glaskörper war mit diesem Wert vergleichbar.

Andererseits stellte sich bei einem Todesopfer einer schweren Explosion an Bord des US-Kriegsschiffes Iowa in Jahre 1989 heraus, dass die Blutalkoholkonzentration von 1,5‰ post letal entstanden ist, da kein Alkohol im Urin des Verunglückten nachgewiesen werden konnte. Außer bei Diabetikern befindet sich nämlich in der Harnblase kein Zucker, der von Bakterien zu Alkohol umgesetzt werden könnte. – Aus diesen Gründen ist es nicht zulässig, den Vorwurf einer Alkoholisierung rein aufgrund von Blutalkoholmessungen zu erheben.

em. Univ. Prof. Dr.h.c. Dr. Andrus Viidik

1190 Wien

Faymann heuchelteAls Angehöriger der Familie von Jörg Haider hatte ich am Samstag die Gelegenheit, mich – ungestört von Kameras – von diesem zu verabschieden. Als Herr Faymann in den Wappensaal zum Sarg trat, bemerkte ich, dass dieser – offenbar aufrichtig – trauerte. Am Tag danach musste ich im Radio von eben diesem Faymann hören, dass keine Koalition mit BZÖ und FPÖ möglich sei, weil er sonst „den Antifaschismus“ aufgeben müsste. Faymann heuchelte. Entweder von den Medien unbeobachtet am Sarg Jörg Haiders, oder im Rahmen einer medial weitergetragenen Rede bei den Kinderfreunden. Bei welcher der beiden Gelegenheiten, wage ich nicht zu beurteilen.

Mag. Alexander Scheer
1010 Wien

Haiders (un)moralischer Sieg„Was ist das für ein Land?“, Kommentar von Christoph Chorherr, 20. Oktober
Christoph Chorherr hat recht. Wenn man bedenkt, dass Haider über Jahre das politische Klima vergiftet und bis zur letzten Minute unverantwortlich gehandelt hat, ist die Berichterstattung unangemessen. Das trifft auch auf die Würdigungen am Grabe zu. Das kann nur als Aufforderung verstanden werden, in diesem Sinne weiterzumachen. Haider hat mit starker Mithilfe aus allen Parteien einen weiteren (un)moralischen Sieg errungen.

Dr. Hannes Swoboda
SPÖ-Europaabgeordneter

Vielen Dank, Herr Chorherr!Endlich eine klare Aussage zur teils schon geschmacklosen Berichterstattung in fast allen österreichischen Medien zum Tod von Herrn Dr. Haider. Es ist unverständlich, im ORF stundenlang über einen Lokalpolitiker zu berichten, speziell in Zeiten, in denen es bei Gott wichtigere Themen gibt. In den Printmedien war es nicht viel anders. Vielen Dank, Herr Chorherr!

Dipl.-Ing. Werner Schuchlenz
4020 Linz

Ein universaler Kult„Haider, der unerkannte Austrofaschist“, Gastkommentar von Robert Menasse, 17.10.
Menasse tut, als wäre der Kult, über Tote nur Gutes oder gar nichts zu sagen, eine typisch nur österreichische Erfindung, erfunden zur Erleichterung der Legendenbildung. In seiner Röhrensichtigkeit verdrängt er, dass dieser Kult – nämlich den Hass nicht über den Tod hinaus zu erhalten – seit der Antike in allen humanistisch gebildeten Gesellschaften aufgenommen ist.

Heinrich Ottitsch
9020 Klagenfurt

Selbstverliebte EinäugigkeitMenasse ist ein guter Schriftsteller mit feiner sprachlicher Klinge. Und er ist ein schwacher politischer Kommentator, einäugig, selbstverliebt in seinem Gutmenschentum und bar jedes ökonomischen und wirtschaftspolitischen Sachverstands.

Da wird eine einfach gestrickte, scheinbar logische Figur zum Angelpunkt einer Schüsselschelte. Keine Erwähnung der „Kronen Zeitung“, die in Menassescher Definition ein Hort faschistischen Gedankenguts sein muss. Kein Wort über die Tatsache, dass diese Zeitung Schüssel verbissen bekämpft und Haider bejubelt hat. Kein Hinweis, dass es der SPÖ vorbehalten war, sich unter öffentlichen Unterwerfungsbezeugungen mit einem solchen Blatt einzulassen. Wohl unbewusst spielt Menasse auf dieses Thema an, wenn er klagt, dass Faymann als Populist denunziert wird, nur weil er politische Ziele formuliert, die auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen. Breite Zustimmung in der Bevölkerung finden eine ausländerfeindliche Politik, eine europakritische Politik mit nationalistischen Untertönen und eine Politik des fortgesetzten Schuldenmachens.

Schüssel, von Menasse als Populist bezeichnet, ist ein überzeugter Befürworter der europäischen Integration, was in diesem Land nicht populär ist und darüber hinaus in scharfem Gegensatz zu einer faschistischen Ideologie steht. Er ist weiters ein Internationalist, der die Anforderungen, die sich für Österreich aus der Globalisierung ergeben, verstanden hat. Vielleicht ist Herrn Menasse aufgefallen, dass inzwischen in praktisch allen EU-Ländern dieselbe Politik verfolgt wird: sogenannte soziale Härte durch Pensionsreformen und Reformen des Gesundheitssektors, Verwaltungsreformen, Universitätsreformen, forcierter Ausbau der Infrastruktur, gleichgültig, ob es sich um rechte, linke Regierungen oder um Kombinationen davon handelt. – Die Fantasie des Schriftstellers mag grenzenlos sein. In der wirtschaftlichen und sozialen Realität gibt es Sachzwänge.

Dr. Erhard Fürst

1020 Wien

Tricksender MenasseIn einem zentralen Punkt (ohne dessen Gültigkeit der ganze Artikel nicht hätte geschrieben werden brauchen) ist Menasse intellektuelle Unredlichkeit vorzuwerfen. Er bezeichnet Haider zunächst als „Faschisten“ – ohne festzumachen, welcher Faschismusdefinition der eigentlich entsprechen solle. (Taktisch geschickt zieht Menasse wenig später alle Vorwürfe zurück, die „Faschisten“ gewöhnlich gemacht werden, wie den Wunsch, Österreich an Deutschland anzuschließen, Vorbereitung von Angriffskriegen, Vernichtung von Minderheiten und politischen Gegnern – natürlich weiß er, dass Haider für alles das nicht eingetreten ist.) So verfällt er auf den Ausweg, Haider zum „Austrofaschisten“ zu stempeln. Vermutlich aber erkennend, dass es absurd wäre, Haider in Verbindung mit dem „klerikal geprägten totalitären Ständestaat“ zu bringen, windet er sich heraus, indem er Haider eine andere Art Austrofaschismus unterstellt.

Er unterlässt es dann aber, den angeblichen Haider-Austrofaschismus zu definieren. Vielmehr lenkt er das Auge des Lesers auf die angebliche Unzulänglichkeit oder gar Perfidität der Nachkriegspolitiker rechts der Mitte, die bloß einige Begriffe „umgewortet“ hätten (Faschismus = Patriotismus, klerikal = christlich). Damit bedient er sich eines manipulatorischen Tricks, der an jene erinnert, die auf der Mariahilferstraße von „Hütchenspielern“ angewendet werden: Presto, eben noch da, jetzt nicht mehr! So lässt er die unhaltbare (Austro-)Faschismusthese aus dem Blickfeld verschwinden; sie hat ja nun auch ihre provozierende Schuldigkeit getan.

Dr. Wolf Ewald
3542 Gföhl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2008)

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