Aufrichtige Kommunikationskunst

Wo öffnet sich mein Gegenüber gern? Wo kann ich respektvoll und aufrecht eintreten? Einer sieht die Tür meines Herzens.

BIMAIL VON Dominik Markl SJIn seiner Videobotschaft vom 20. März an die iranische Regierung bot Präsident Obama von Seiten der USA einen Neuanfang an. Er sprach von der „Größe des iranischen Volkes“, von „wechselseitigem Respekt“, von Recht und Verantwortung des Iran in der Völkergemeinschaft. Eine Kehrtwende gegenüber Obamas Vorgänger Bush, der den Iran zur „Achse des Bösen“ gerechnet hatte. Das Angebot traf auf erfreute Resonanz in der iranischen Bevölkerung und scheint erste politische Früchte zu zeigen. Am 18.April, dem „Tag der Armee“, verzichtete Präsident Ahmadinejad auf die drohenden Töne der vergangenen Jahre und bezeichnete den Iran stattdessen als „Nation der Ideale“, die für Frieden und Sicherheit eintrete. Obama hat einen Zugang zu einem harten Opponenten der USA gefunden – durch die Anerkennung der Würde dieses Volkes und seiner Kultur. Für den Weltfrieden ist es von entscheidender Bedeutung, dass diese beiden Mächte einen Zugang zueinander finden, bevor gewaltsam Wände eingerissen werden.

Die Kunst, den richtigen Zugang zu einem Menschen, einer Gemeinschaft oder einer Kultur zu finden, genau dies meint Jesus mit dem Bild vom Hirten, der durch die Tür geht. Schwere Konflikte und Aufgaben lassen sich nicht „mit dem Kopf durch die Wand“ bewältigen. Jesus scheint eine außergewöhnliche Gabe zu haben, den Zugang zu Menschen zu finden. Leute vom Land mit natürlicher Intuition werden seine Mitarbeiter. Er kommt durch die Tür von Bankabzockern und zwielichtigen Damen. Behinderte fühlen sich bei ihm wohl, Jugendliche und Kinder. Doch nicht nur die Türen der Welt öffnen sich ihm. Nach kirchlicher Tradition durchschritt Jesus nach seinem Tod die Pforten der Unterwelt, um dem Leid und Unrecht der Welt zu begegnen und alles in seine Auferstehung mitzunehmen. Am Ostermorgen betet die alte Liturgie von Trier mit Psalm 24: „Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch, ihr uralten Pforten, denn es kommt der König der Herrlichkeit.“ Vor Jesus öffnet sich der Himmel, um ihn mit Jubel zu empfangen.

Der Hirt, der die Tür findet, ist ein aufrichtiger Kommunikationskünstler. Er muss nicht die Wände hochgehen, er muss sie nicht einreißen und nicht schlau durch das Fenster kriechen. Barack Obama beweist Hirtenklugheit, indem er den Iran nicht auf Fundamentalismus und Terrorismus reduziert, sondern die Größe dieses Landes sieht, das mit dem persischen Reich eine der bedeutsamsten Hochkulturen der Alten Welt hervorgebracht hat. Viel Hirtenkunst braucht es, um die Tür eines Menschen zu sehen: wo er empfänglich und durchlässig ist; wo er sich geschützt fühlt und seinen Gast mit Würde empfangen kann. Eine bestimmte Art zu lächeln kann Wunder wirken oder ein Augenzwinkern; ein Witz, charmante Kritik oder die Gabe, Traurigkeit schweigend ernst zu nehmen. Aber bitte warten Sie kurz, ich habe etwas gehört. Ein leichtes Klopfen. Ich muss schnell zu meiner Tür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.