Wladimir Fedosejew, der große Orchester-Erzieher

Wie oft ärgert man sich über ungenügende Dirigentenleistungen? Dieser Tage feiert ein Maestro Geburtstag, der stets für Qualität steht.

Hie und da setzt er den schelmischen Blick eines schlimmen Buben auf: Dass Wladimir Ivanowitsch Fedosejew gerade 80 geworden ist, will man nicht glauben. Doch lehrt sein Curriculum, dass die Nachricht stimmt. Immerhin leitet der wohl längstdienende Chefdirigent unseres Äons seit 1974 die Geschicke des Moskauer Rundfunkorchesters.

„Geschicke“, fürwahr. Die letzten Jahrzehnte des sowjetischen Imperiums, die hektische Umbruchzeit und die Etablierung neuer Herrschaftsstrukturen hat das Ensemble überdauert. Das ist keine Kleinigkeit.

Es ist wohl der Integrationsfigur Fedosejew zu verdanken, dass die Musikergemeinschaft, die sich seit einigen Jahren unter dem Ehrentitel Tschaikowsky-Orchester versammeln darf, noch besteht.

Dass Wladimir Fedosejew ein Garant für künstlerische Qualität ist, hat man auch hierzulande rasch begriffen, nachdem er erste Konzerte mit den Wiener Symphonikern absolviert hatte. Er wurde Chefdirigent auch dieses Orchesters und hat damit auch in Wien regelmäßig für Begeisterung gesorgt. Denn mit den Symphonikern gelangen ihm – wie mit seinem russischen Ensemble – Höhenflüge unter dem Siegel der romantischen Spieltradition, deren Ansprüche er wie kaum ein Zweiter heute zu erfüllen imstande ist. Weiche, warme Tongebung, große, nahtlose Bögen sind Fedosejews Markenzeichen. In Zeiten wie diesen sind das Raritäten.

Eine Wiederkehr des Dirigenten nach längerer Absenz hat beinahe dieselbe heilsame Schockwirkung wie sein Gastspiel damals, 1987, im Rahmen eines Jeunesse-Konzerts, als die Wiener Habitués nicht schlecht staunten, dass sich mit Carlos Kleiber ein prominenter Zaungast eingefunden hatte.

Der Maestro wusste, was ihn erwartete, hat Fedosejew stets als Kollegen geachtet und immer wieder kontaktiert. Wiens Musikfreunde wussten davon nichts, aber nach Prokofieffs „Romeo und Julia“ begriffen sie: Da versteht es einer, wie sein Vorbild Jewgeni Mrawinski unerbittlich mit einem Orchester zu arbeiten und in der interpretatorischen Konsequenz wie der schieren Klangschönheit außerordentliche Ergebnisse zu erzielen.

Mrawinski und die „Leningrader“ – das war neben den Berlinern unter Karajan denn auch die einzige Vergleichsmöglichkeit, die sich bot: Und nur Fedosejew und den Seinen ist es gelungen, die Tugenden musikalischer Langzeit-Verbindungen auf höchstem Niveau ins neue Jahrtausend zu retten.

Damit ließe sich das meiste deklassieren, was heutzutage auch bei großen Festivals präsentiert wird. Womit die Frage, warum Fedosejew dort kaum in Erscheinung tritt, schon beantwortet wäre. Dank privater Unterstützung ist aber auf CD nachzuhören, wovon hier die Rede ist: von einem heute in Wahrheit konkurrenzlosen Dirigentenphänomen.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2012)

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