Strasser, ein Medienversagen

Die Verfehlungen des Ex-EU-Parlamentariers hätten früher aufgedeckt werden können.

Im Mai 2010 besuchte eine Delegation niederösterreichischer Journalisten auf Einladung Ernst Strassers, noch kein ganzes Jahr EU-Parlamentarier, Brüssel, um sich von dem damaligen Vorsitzenden der ÖVP-Fraktion über sein salbungsvolles Wirken informieren zu lassen. Dabei waren neben dem Autor dieser Zeilen Kollegen von ORF, „NÖN“, „News“, „Kurier“, „Standard“ und „Bezirksblättern“. Bei einem Abendessen im Restaurant „Les Chapeliers“ im Zentrum Brüssels machte Strasser schon damals – ohne dass sich jemand als Klient getarnt hätte – keine Mördergrube aus seinem Herzen: „Parlamentarier! Die reden und reden und reden, und jeder glaubt, er wär' so wichtig – für mich ist das gar nichts“, war zwischen dem einen oder anderen Glas Wein ebenso zu hören wie der Schlüsselsatz „Ich bin eigentlich nur hier, um Kontakte für meine Firmen zu knüpfen“.

Aufgegriffen hat das damals – niemand. Sei es aus falsch verstandenem Respekt, sei es, weil wir dachten, Strasser hätte im Scherz gesprochen: Nichts von der Verachtung, die er da für seine Funktion und indirekt für seine Wähler zum Ausdruck brachte, wurde berichtet – und niemand dachte an Korruption. Es blieb ironischerweise britischen Journalisten aus Rupert Murdochs Brachialmedienreich überlassen, Strassers moralische und politische Verfehlungen publik zu machen.

Ein Versagen von uns Medienvertretern: Dass wir damals im „Les Chapeliers“ nicht nachgeforscht haben, war ein schwerer Fehler; Strassers Absichten waren offensichtlich für jeden, der genauer hingehört hätte – eine Lektion, die wir gelernt haben.

Übrigens: Mit am Tisch saß damals auch ein Vertreter der niederösterreichischen VP.

georg.renner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2012)

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