Vom religiösen Wahnsinn

Die religiöse Hypersensibilität ist ein gewaltiges globales Zukunftsproblem.

KOMMENTAR

Man kann es eigentlich im Jahre 2012 nicht fassen, dass es auf unserem kleinen Planeten am Rande der Galaxis Menschen gibt, die so etwas nicht verrückt finden: Da beschuldigt also ein Geistlicher in Pakistan ein Mädchen, es habe Gott gelästert, fertigt zu dem Zweck „passende“ Beweismittel und bringt es in die Mühlen der Justiz – wo ihm schlimmstenfalls der Tod droht.

Das ist so absurd, dass man höhnisch lachen möchte, aber es ist nicht komisch: Es gibt Menschen, und zwar gar nicht so wenige, die jemanden töten (lassen) möchten, weil er Gott lästert. Gott, den man, provokant verkürzt, auch als rational unbeweisbare Figur bezeichnen könnte, die die Menschheit in vielen Formen ersann, weil sie sich nicht erklären kann, woher das Universum kommt. Ein Schöpfer, den man aber nicht weiter hinterfragen darf, obwohl das kosmische Kausalitätsproblem nur auf eine weitere Ebene verdrängt wurde – aber auch Hinterfragen wär' Blasphemie.

Wenn man Gott beleidigt, wieso braucht er irdische Rächer? Aber im Grunde ist das bloß eine Ausrede, denn Blasphemie wird in Wahrheit von Gläubigen als persönliche Beleidigung empfunden. Doch ein halbwegs anständig denkender Mensch darf eine Beleidigung heute nicht als Grund für tödliche Rache nehmen: So etwas zeugt von Mittelalterlichkeit, pathologischer Hypersensibilität und mangelndem Selbstvertrauen. Das trifft aber anno 2012 offenbar noch immer auf viele Menschen zu – ein gewaltiges globales Zukunftsproblem.

wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2012)

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