Gegen die Ganztagsschule ist nichts einzuwenden. Wenn sie nicht zum Zwang für alle wird.
Dem Kanzler schwebt die flächendeckende Ganztagsschule vor, und zwar „zu 100 Prozent“. Derzeit sind es läppische 17,5 Prozent. Nachdem die Ganztagsschule in der SPÖ-Diktion stets mit „verschränkter Ganztagsschule“ gleichgesetzt wird – also Unterricht und lernfreie Zeit wechseln einander ab –, bedeutet dies: Alle müssten in die Ganztagsschule. Denn im Gegensatz zur Schule mit Nachmittagsbetreuung würde der Schüler im verschränkten System einen Teil des Lernstoffs versäumen, wenn er am Nachmittag lieber etwas mit den Eltern unternimmt, ein Instrument erlernt oder auf dem Fußballplatz unterwegs ist.
Der Mangel ist unbestritten, das Angebot hinkt der Nachfrage weit hinter her. Und bei allem Verständnis dafür, Chancengleichheit herzustellen und Kinder aus Migrantenfamilien besser zu fördern: So kann das auch nicht sein. Es muss schon noch den Eltern überlassen bleiben, ob sie ihr Kind nachmittags aus der Schule nehmen, ob sie es dort zur Nachmittagsbetreuung belassen oder ob sie einen Ganztagsunterricht wünschen.
Wobei ein verschränkter Ganztagsunterricht sehr wohl sinnvoll ist. Aber eben nur in der beschränkten Form. Soll heißen: Wer diesen für sein Kind will, soll ihn, wo auch immer er zuhause ist, bekommen können. Wer das nicht will, für den soll es weiterhin Alternativen geben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2012)