Gefährliche Geradlinigkeit

Diskussion um Patriotismus Schwarzenbergs ist auch ein Lackmustest für Tschechien.

Vermutlich hat sich Karel Schwarzenberg nicht viel dabei gedacht, als er unlängst während einer Fernsehdiskussion die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach 1945 hinterfragt und der damaligen Gesellschaft attestiert hat, von der Nazi-Barbarei infiziert worden zu sein. Dass das Oberhaupt einer böhmischen Adelsfamilie diese Position vertritt, ist kein Novum. Und auch die Erkenntnis, dass die damaligen Massendeportationen keine Sache von Schwarz und Weiß waren, sondern einer differenzierten Betrachtung bedürfen, gehört heute zum historischen Standardrepertoire.

Dass Schwarzenbergs politische Widersacher ihm nun mit Schaum vor dem Mund Vaterlandsverrat vorwerfen, hat also wenig mit dem eigentlichen Sachverhalt zu tun – und sehr viel damit, dass in Tschechien die Präsidentenwahl ansteht und der amtierende Außenminister gute Chancen auf den Sieg hat. Mit seiner live im TV übertragenen Authentizität hat Schwarzenberg seinen Gegnern möglicherweise einen Gefallen getan. Diese Geradlinigkeit macht ihn sympathisch – aber sie könnte ihm am Wahlabend zum Verhängnis werden.


Doch die Diskussion um Schwarzenbergs Vaterlandstreue am Vorabend der Stichwahl ist zugleich ein Lackmustest: An dem Wahlergebnis wird sich auch ablesen lassen, ob die Tschechen knapp 70 Jahre nach Kriegsende imstande sind, die sensible sudetendeutsche Causa nüchtern zu betrachten, ohne gleich in patriotischen Furor zu verfallen. Insofern hat Schwarzenberg, auch wenn er nun scheitern sollte, seinen Landsleuten einen großen Gefallen getan.

michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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