Nicht nur das Auge, auch die Verantwortung isst mit

Bei aller angebrachten Empörung über die Machenschaften der Fleischpanscher: Letztlich entscheiden nur wir selbst, was auf unseren Tellern landet.

Es überkommt uns alle regelmäßig ein wohliger Schauer, wenn wir in Literatur oder Film ins Mittelalter entführt werden. Was für eine dunkle, brutale, unzivilisierte Zeit! Wie gesittet läuft da etwa so ein Machtwechsel im Vatikan heutzutage ab, wenn man sich im Vergleich dazu das Gemetzel der Borgias vor Augen hält. Es spricht vieles dafür, dass Generationen nach uns unseren heutigen Umgang mit Nutztieren ganz ähnlich empfinden werden. Barbarisch. Unzivilisiert. Grauslich.

Das ist eine Seite des Pferdefleischskandals, der am Freitag mit einer Packung Tortelloni auch in Österreich angekommen ist. Was unsere Gesellschaft mit Tieren anstellt, wie sie sie zuerst lebendig im Kreis fährt, schifft, fliegt, um sie nach erfolgter Schlachtung tot im Kreis zu fahren, zu schiffen und zu fliegen, ist unethisch, unökonomisch und im weiteren und engeren Sinn unappetitlich. Wir haben uns aus irgendeinem Grund mit diesem Zustand arrangiert. Es bleibt zu hoffen, dass unsere Nachkommen uns dereinst als Fleisch-Borgias beschreiben und es besser machen werden.

Was die Pferdefleischspuren in Fertigprodukten angeht, möchte man zunächst meinen, es gehe „nur“ um eine Verletzung der Auszeichnungspflicht. Denn prinzipiell ist Pferdefleisch natürlich um nichts weniger zum Verzehr geeignet als das auf der Packung angegebene Rindfleisch. Vielen – auch Österreichern – gilt Pferdefleisch gar als besondere Delikatesse. Noch dazu ist Faschiertes von Unpaarhufern um vieles teurer als Paarhuferfleisch. Ein verstecktes Upgrade gar?

Genau dieser Umstand ist es, der uns stutzig machen sollte. Ist dieser Betrug der Lebensmittelerzeuger nämlich noch ein Geschäft (das muss es wohl sein, wozu sonst der Betrug?), kann man sich ungefähr vorstellen, aus welchen Kanälen das Pferdefleisch stammt, das da in Lasagne, Tortellini und anderer Tiefkühlkost verarbeitet worden ist. Sollte sich das alles rechnen, kommt das Fleisch wohl aus Quellen, die bei uns normalerweise in der Tierkörperverwertung und nicht in der Tiefkühltruhe landen.

Geht man aber von minderwertigem Fleisch aus, ist die Beteuerung aus dem Gesundheitsministerium („keine Gesundheitsgefahr“) genau so zu genießen wie die kleppergefüllten Tortelloni: mit Vorsicht. Wird Pferdefleisch als Rindfleisch deklariert, fallen natürlich die für Pferdefleisch notwendigen Untersuchungen weg. Zum Beispiel auf Rückstände des Medikaments Phenylbutazon, das bei Pferden häufig gegen Entzündungen eingesetzt wird. Ist Fleisch aber nicht ausreichend kontrolliert worden, kann man über das Gesundheitsgefährdungspotenzial eher wenig sagen.

Doch selbst die bloße Verletzung der Kennzeichnungspflicht wäre schlimm genug, um schärfste Sanktionen für Produzenten und Anbieter zu rechtfertigen. Wer sich nämlich in einem unüberschaubaren Angebot an Lebensmitteln auch nur einigermaßen zurechtfinden und als Konsument überhaupt eine Wahl haben will, für den ist die genaue und dennoch leicht verständliche Kennzeichnung der Produkte das Um und Auf. Die Art der verarbeiteten Lebensmittel und vor allem deren Herkunft müssen ohne die Absolvierung eines einschlägigen naturwissenschaftlichen Hochschulstudiums erkennbar sein.

Andererseits gibt es selbst gegen in betrügerischer Absicht gestaltete Produktkennzeichungen noch ein Wundermittel, das gerade in Supermärkten angeblich häufig herumgeistert: den Hausverstand. Wenn ganze Rinder- und Schweinehälften um wenige Euro verkauft werden, kann es mit der Qualität nicht so weit her sein. Wenn Lebensmittel, die es bei uns gibt, viele tausend Kilometer herbeigekarrt werden, aber immer noch billiger sind als das heimische Produkt, könnte vielleicht doch leichte Skepsis angebracht sein.

Die größte Sicherheit über die nächste Mahlzeit hat man übrigens immer noch, wenn man sie aus frischen Zutaten selbst zubereitet hat. Denn letztlich entscheiden wir selbst, nicht die bösen Pferdefleischschieber, was wir essen – vor allem aber, was wir nicht essen wollen. Und das nicht erst seit dem Mittelalter.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)

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