Italien droht zu vergessen, dass ihr Ex-Premier verurteilt wurde, weil er seine Mitbürger bestohlen hat.
Im besten aller möglichen Italien würde sich Silvio Berlusconi jetzt aus der Politik zurückziehen. Denn gerade der Mann, der lautstark immer wieder die Trennung von Justiz und Politik gefordert hat, müsste konsequent sein und das Urteil nicht zum Politikum machen. Im Namen des Prinzips der Gewaltenteilung, das die Grundlage eines funktionierenden Rechtsstaates ist.
In der traurigen politischen Realität Italiens passiert freilich genau das Gegenteil: Der dreimalige Premier brüllt „Komplott“, stilisiert sich zum Märtyrer und erkennt damit den Rechtsstaat wieder einmal nicht an. Und gibt einen Vorgeschmack auf die nächsten Monate, die geprägt sein werden von Dauerattacken auf die Justiz und Totalkonfrontation mit seinen Gegnern – so wie es immer wieder geschehen ist, wenn Berlusconi in die Enge getrieben wurde. Den Preis dafür werden die Italiener bezahlen: Durch eine gelähmte Regierung, die noch stärker in die Geiselhaft Berlusconis und seiner Leute zu geraten droht – mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit fast 50 Jahren.
Zu vergessen droht man im emotional aufgeheizten Italien, worum es geht: Berlusconi hat seine Aktionäre, den Staat und seine Mitbürger um hunderte Millionen Euro bestohlen. Das wurde in einer juristischen Analyse nachgewiesen, die fast ein Jahrzehnt dauerte. Nach so einem Verbrechen müsste jeder Unternehmer, jeder Politiker von der Bildfläche verschwinden. Dass in Italien das Gegenteil passieren könnte, sagt viel über den Zustand des Landes aus.
susanna.bastaroli@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2013)