Warum sich Südafrika vor Mandelas Tod so fürchtete

Solange Nelson Mandela lebte, konnten die Menschen verdrängen, wie es um ihr Land tatsächlich bestellt ist - und wie weit es von "Madibas" Traum noch entfernt ist.

So bewegt sein Leben war, so friedlich war offenbar sein Tod: Nelson Mandela ist, so wurde es jedenfalls der Welt mitgeteilt, friedlich im Kreise seiner Familie eingeschlafen. Zum Glück ist ihm das unwürdige Schauspiel, das sich in den vergangenen Jahren mehrfach wiederholt hatte, an seinem tatsächlichen Lebensende erspart geblieben: Wann immer es um Mandelas Gesundheit zuletzt schlecht stand, er tage- oder gar wochenlang im Krankenhaus zubringen musste, hatten es so viele plötzlich ganz eilig, sich als engste Freunde, Vertraute, Gefährten von "Madiba" zu präsentieren. Vielleicht noch ein gemeinsames Foto am Krankenbett, bald könnte es ja zu spät sein. Zumindest ein Teil, der wie Nachrufe dahergekommenen Reden, die auf den siechen, aber noch lebenden Mandela gehalten wurden, waren ein Kompendium menschlicher Falschheit. Wenn eine Gestalt derart strahlt, wollen sich viele in diesem Glanz sonnen, zumindest, um das eigene Image aufzuhellen.

Schlimm genug ist es freilich, dass ausgerechnet Südafrikas Präsident Jacob Zuma es war, durch den die Welt vom Tod Mandelas erfahren musste. Denn kaum einer symbolisiert so stark wie der brutale, immer wieder mit gravierenden Korruptionsfällen in Verbindung gebrachte Machtpolitiker Zuma, der noch 2012 bei einer Veranstaltung das Lied "Erschieße den Buren" sang, wie weit das heutige Südafrika vom Traum Mandelas eines friedlichen Zusammenlebens von Schwarz und Weiß noch entfernt ist. Dass seine offensiv vertretene und schamlos ausgelebte Polygamie in einem Land mit einer der höchsten HIV/Aids-Raten der Welt ein mehr als fatales Signal ist, kommt noch dazu.

Freilich: Die Aufgaben, die nach dem Ende der Apartheid auf das endlich demokratische Südafrika und seine Führung warteten, wären eines Herkules würdig. Und vielleicht war Mandela zu wenig Politiker, um diese Aufgaben während seiner eigenen Amtszeit als Präsident schultern zu können. Aber er war genau das, was dieses Land nach dem Ende der staatlich verordneten Rassentrennung brauchte: Eine moralische Instanz von höchster Glaubwürdigkeit.

Die schreienden sozialen Ungleichheiten in dem Land konnten auch seine Nachfolger nicht beseitigen, die fremdenfeindlichen Unruhen 2008 führten dies drastisch vor Augen. Doch Mandelas Erben verspielten auch dessen moralisches Erbe: Das zeigte sich zuletzt 2012, als die Polizei das Feuer auf streikende Bergarbeiter eröffnete und Dutzende von ihnen tötete.

Die Südafrikaner schienen panische Angst vor dem Tod dieses Mannes zu haben, schienen sich verzweifelt am Methusalem zu klammern. Denn solange Mandela lebte, konnte man verdrängen, wie es um das Land tatsächlich bestellt ist. Der Tod Mandelas hat diesen Schleier der Verdrängung ein für alle Mal weggerissen.

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