Ukraine-Wahl: Proeuropäisch ist noch nicht abendfüllend

Das Wahlergebnis legitimierte die Kräfteverschiebungen durch die Revolution. Doch an der Bürgerkriegs-Situation im Osten des Landes ändert es wenig.

Die Genugtuung in Europa war so verständlich wie vorhersehbar: "Die Ukraine geht nach Europa", kommentierte etwa Polens Außenminister Grzegorz Schetyna den Wahlausgang in der Ukraine: "Dies ist eine große Chance". Ähnlicher Beifall tönte aus Berlin, Wien, und anderen Städten.

Eine realistischere Einschätzung kam aus Moskau: "Die Wahlen führen nicht zu einer neuen Machtkonfiguration, und diese Machthaber können nichts Neues geben - sie haben keine finanziellen Ressourcen", meinte trocken Alexej Puschkow, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Duma, der dabei - wohl nicht ohne Hintergedanken - freilich auch wieder eine Kleinigkeit übersieht: Denn erst die Wahl vom Sonntag hat die realen Machtverhältnisse, wie sie seit dem Umsturz im Februar herrschen, legitimiert. Die künftige Rada ist kein von Überläufern geprägtes Revolutionsparlament mehr.

Nun ist es alles andere als eine Überraschung, dass die sogenannten proeuropäischen Kräfte die Parlamentswahl für sich entschieden haben (genau genommen lässt sich das vorerst nur über jene Hälfte der Sitze sagen, die über Parteilisten entschieden wurden, aber die Auszählung der Wahlkreise wird das Ergebnis nicht auf den Kopf stellen).

Überraschender ist schon, dass der Block von Präsident Petro Poroschenko deutlich schlechter abschnitt, als erwartet worden war, und ihm mit der "Volksfront" von Premier Arseni Jazenjuk ein nach derzeitigem Stand gleichstarker Partner und Konkurrent erwachsen ist. Das ist gut und schlecht, wie sich leicht aus der politischen Praxis der letzten zehn Jahre ableiten lässt. Gut, weil zu viel Macht in den Händen einer Partei immer schlecht ist, gerade in einem Land wie der Ukraine. Schlecht, weil Machtkämpfe damit vorprogrammiert sind, gerade in einem Land wie der Ukraine. Und wenn sich eines mit Sicherheit sagen lässt, dann dass dieses Land angesichts des Bürgerkrieges im Osten nicht in einer Verfassung ist, in der es sich aufreibende Machtkämpfe in Kiew leisten sollte.

Aber, wie der Duma-Außenpolitiker Puschkow sinngemäß sagte: Im Westen (von Moskau aus gesehen) nichts Neues. Ja, es gibt im Parlament in Kiew künftig mehr Nationalisten, und ja, die Anhänger des im Februar abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch sind nur mehr mit zehn Prozent vertreten (dass sie weiter im Parlament sitzen, ist wichtig, damit sich dieses Lager nicht völlig vom politischen Prozess ausgeschlossen fühlt). Aber am Kurs, den Kiew seit der Revolution im Februar fährt, wird sich dadurch nichts ändern. Was auch?

Im übrigen: "proeuropäisch" ist zwar ein schönes, griffiges Etikett, aber bei dem breiten Spektrum dessen, was sich unter diesem Titel in der Ukraine tummelt, sagt es per se noch nicht viel aus. Und vor allem: es ist gerade in der derzeitigen Situation alles andere als abendfüllend. Revolutionswirren und Bürgerkrieg haben das Land finanziell ausgeblutet, die industrielle Basis im Donbass ist durch die Kämpfe schwer beeinträchtigt, und wenn es bald kalt wird, braucht man Gas. Russisches Gas. Trotz eines angeblich geltenden Waffenstillstands gehen die Kämpfe im Osten des Landes aber unvermindert weiter. Doch der Schlüssel zu einer Entspannung der Situation im Bürgerkriegsgebiet, der liegt weniger in Kiew als in Moskau.

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