Der brutal abgeschminkte Vorzugsschüler

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Willkommen in der Realität: Österreich und sein verblasstes Wunder.

Als Österreicher konnte man in jüngster Zeit beim Anblick der Konjunkturdaten durchaus in tiefe Depression fallen: Während rundherum die Arbeitslosenzahlen zu sinken beginnen und das BIP-Wachstum wieder in Gang kommt, läuft es bei uns genau umgekehrt. Kein Wunder, dass wir in Standort-Rankings immer weiter zurückfallen.

Was ist da los? Sind wir wirklich so abgesandelt? Ein bisschen muss man das schon relativieren: Wir stehen im Vergleich zu den Klassenbesten im Euroraum zwar wirklich immer schlechter da. Aber der Rückgang ist nicht so dramatisch, wie er aussieht. Wir waren nämlich nie so gut, wie wir uns das selbst erfolgreich eingeredet haben.

Was jetzt passiert, ist, dass dem wunderschön griechisch geschminkten Vorzugsschüler die Schminke herunterrinnt. Und was darunter zum Vorschein kommt, ist leider nicht sehr ansehnlich. Anders gesagt: Der Rückfall ist eine Art statistische Normalisierung.

Am Beispiel Arbeitsmarkt: Unsere rekordverdächtig niedrige Arbeitslosenrate war in der Realität eigentlich immer ein Rekord an Frühpensionisten. Seit die Frühpensionierung – bisher massiv als Arbeitsmarktinstrument eingesetzt – stark eingeschränkt wurde, geht die offizielle Arbeitslosenrate eben dorthin, wo sie in der Realität schon immer war.

Oder die Staatsschulden: Die sind im Vorjahr nicht, wie man meinen könnte, um zwölf BIP-Prozentpunkte explodiert. Sondern Eurostat hat uns nur gezwungen, versteckte Schulden offenzulegen. Nicht einmal eine europaweite Nach-oben-Manipulation (= Neuberechnung) der BIP-Werte hat verhindern können, dass wir jetzt mit einer Staatsschuld von 87 Prozent des BIPs sehr durchschnittlich dreinschauen.

Wir sollten jetzt endlich der Realität ins Auge blicken. Beispielsweise dem Umstand, dass sich die Industrie ganz leise aus dem Land vertschüsst, indem sie Erweiterungsinvestitionen nur noch im Ausland tätigt. Eine mittelfristig ziemlich dramatische Bedrohung für den Wohlstand eines Hochlohnlands, das auf einer industriellen Basis steht.

Hat man eigentlich schon von vernünftigen politischen Strategien gehört, wie man das stoppen und den Standort wieder attraktivieren könnte? Nein? Weil man sich erst um wirklich Wichtiges, etwa die „Gerechtigkeit“ beim Erben und Stiften, kümmern muss? Ja, dann...

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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