Marine Le Pens überfälliger Bruch mit dem Clanchef.
Es sollte sein letzter Affront gewesen sein: Bei der Maikundgebung des Front National (FN) in Paris erklomm der 86-jährige Patriarch im geckenhaft roten Mantel die Bühne, um seiner Tochter Marine mit Triumphposen die Show zu stehlen. Zu oft hatte Clanchef Jean-Marie Le Pen mit rassistischen und antisemitischen Tiraden die Partei ins rechtsextreme Eck gerückt, zu oft hatte er seine Tochter und Nachfolgerin brüskiert, die der Partei ein moderneres, moderateres Image verpassen wollte, frei von den Altlasten des Gründervaters.
Zu schwer wog der „Menhir“, der wie ein Monolith in der Politlandschaft ragende Hinkelstein – so lautete der Spitzname für den bretonischen Sturkopf, den Ex-Fremdenlegionär, den Polithaudegen und Provokateur, über den die Zeit hinweggegangen ist. Schließlich blieb Marine Le Pen nur der politische „Vatermord“ übrig– und ganz Frankreich staunt über den blutigen Familienzwist, im Übrigen nicht der erste und womöglich nicht der letzte im Hause Le Pen, zumal die dritte Generation bereits mitmischt im familiären Politbetrieb.
Jean-Marie Le Pen spuckt Gift und Galle. Seiner Tochter kommt das indes gerade recht: Mag ihr Vater ihr im Zorn die Qualifikation als Präsidentin absprechen, ein Viertel der Franzosen hält sie durchaus für würdig für den Élysée-Palast. Der Populismus des Front National verliert die radikale Spitze, die degoutante Sprache. Politisch wird Marine Le Pen vom längst überfälligen Bruch somit nur profitieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2015)