Aung San Suu Kyi ist fast am Ziel ihrer Träume.
Im Namen der Freiheit nahm die Wahlsiegerin große persönliche Opfer auf sich. Die Jahre im Hausarrest, die Abschottung von ihrer Familie und die Drangsalierung durch die Militärs haben Burmas Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nicht gebrochen, sondern gestählt. Die zierliche Galionsfigur der Demokratiebewegung hat enorme Zähigkeit bewiesen, und 25 Jahre nachdem die Generäle ihr nach dem Erdrutschsieg der Opposition durch einen kalten Staatsstreich den Weg an die Macht versperrt haben, ist sie nun beinahe am Ziel.
Die Parlamentswahl geriet zum Triumph für „Mutter Suu“, die allseits verehrte Ikone mit den autokratischen Zügen. Die Armee hat sich bisher in ihre Niederlage gefügt, behält aber dank der von ihr dekretierten Spielregeln einen Teil der Kontrolle.
Aung San Suu Kyi wird sich mit den Generälen arrangieren müssen, um sie nach und nach ganz von der Macht zu verdrängen – ein Kunststück, würdig einer Friedensnobelpreisträgerin.
Aus der Sicht einiger Anhänger hat sie in ihrer Politik der Aussöhnung hehre Ideale preisgegeben – etwa, als sie nicht für die verfolgte muslimische Minderheit eintrat. Niemand sollte Asiens „eiserne Lady“ unterschätzen: Da ihr das höchste Staatsamt wegen eines Verfassungstricks verwehrt ist, postulierte sie, sie stehe über dem Präsidenten – der de facto ein Präsident von ihren Gnaden ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)