Ein Winterabend in Iowa

Mit Wahlempfehlungen ist es so eine Sache.

Im angelsächsischen Raum ist es gute Tradition, Parteien und insbesondere Kandidaten zu unterstützen und sie so den Lesern quasi in großväterlicher Manier ans Herz zu legen. Das hat in Zeiten der Digitalisierung der Gesellschaft, der Information per Knopfdruck, etwas rührend Altmodisches. Es verströmt die heimelige Atmosphäre eines Kaminfeuers an einem frostigen Winterabend wie in einer Norman-Rockwell-Zeichnung aus den USA der 1930er-Jahre.

Dass die „New York Times“ sich also unmittelbar vor dem Auftakt der Vorwahlsaison in Iowa in einem langen Leitartikel auf Hillary Clinton festlegte, ihre außenpolitische Erfahrung und die historische Perspektive für die erste US-Präsidentin ins Treffen führte, ist ungefähr so überraschend wie ein Blizzard im Jänner, wie er neulich über die US-Ostküste fegte und Washington lahmlegte.

Das zweite Endorsement, die Wahlempfehlung für den republikanischen Gouverneur John Kasich aus Ohio, ist ohnehin nur eine bizarre Fußnote. Die Bewohner Iowas dürfte dies alles ziemlich kaltlassen. Mehr als dem Weltblatt aus dem als arrogant und zynisch verschrieenen New York vertrauen sie schon viel eher auf ihr Lokalblatt, den „Des Moines Register“, der auch an klirrend kalten Tagen frühmorgens vor ihrer Türschwelle liegt. Der „Register“ sprach sich im Übrigen auch für Clinton aus – und für Marco Rubio, den möglicherweise lachenden Dritten im Duell der Populisten Trump und Cruz.

Was aber, wenn die Zeitungsleser daheim am Kamin bleiben, weil für den Montagabend, wenn in den Sporthallen und Bibliotheken Iowas die Abstimmung über die Bühne gehen wird, ein Schneesturm angesagt ist?

thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2016)

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