Keep calm

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Ein wenig Vertrauen wäre angebracht – in eine Demokratie, die mehr als 150 Jahre älter als unsere ist.

Sein Wissen beschränke sich auf seinen nicht gerade großen Schulsack sowie auf anspruchslose „Reader's Digest“-Lektüre. Er sehe die Welt nur in Schwarz und in Weiß, sein Weltbild sei in den Fünfzigerjahren stehen geblieben: So beschrieb eine große deutschsprachige Tageszeitung vor 36 Jahren einen Schauspieler namens Ronald Reagan, der gerade zum US-Präsidenten gewählt worden war. Spott und Häme aus Europa waren den US-Wählern sicher. Reagan war es, der unter anderem mit Steuersenkungen und Milliardeninvestitionen in das Militär die Wirtschaft ankurbelte und nicht ganz unschuldig daran war, dass das „Reich des Bösen“ (Reagan über die Sowjetunion) später kollabierte.

Die medialen Reaktionen in Europa auf die Wahl Donald Trumps sind noch viel empörter, ängstlicher und schriller. Manches klingt da so, als hätten die paramilitärischen Milizen Washington im Handstreich übernommen und die Demokratie ausgeschaltet. Genau diese ist es, die den absurden Präsidentschaftskandidaten ins Weiße Haus bringt. Bei aller berechtigten und notwendigen Kritik an den menschenverachtenden, gefährlichen, beleidigenden und sexistischen Aussagen des neuen Mannes: Weder die Welt noch die USA werden untergehen. (Obwohl Zweiteres so mancher Kritiker Trumps vielleicht erhofft.)

Nur weil er die Wahl gewonnen hat, heißt das nicht, dass er für den Job geeignet ist. Aber er wird ihn voraussichtlich vier Jahre ausüben. Angesichts dieser Realität wären eine kühle Betrachtung und ein wenig Vertrauen angebracht – in eine Demokratie, die mehr als 150 Jahre älter als unsere ist und etwa keine sinnlosen Zwangsehen unwilliger Parteien vorsieht. Trump muss „dem System“ nun trauen, es hat ihn an die Spitze gelassen. Vieles spricht dafür, dass jenes und verfassungsrechtliche Sicherheitsvorkehrungen weder zum Atomkrieg noch zur Errichtung von Internierungslagern führen werden. Es wird rauer, ungemütlicher und in Europa teurer werden. Die Sicherheitspolitik dürfte erstmals tatsächlich selbst auf dem Kontinent geschultert werden müssen. Wirtschaftspolitisch bedauerlich ist der Sieg der Populisten links wie rechts: Trump garantiert das Aus für einen theoretisch sinnvollen Freihandelspakt zwischen den USA und der EU.

Vor allem belegt der Sieg Trumps eines: Wir, die Medien, liegen in der Einschätzung bevorstehender Referenden erschreckend oft weit daneben. Ein bisschen Demut wäre bei der Beurteilung der USA und ihrer Wähler durchaus angebracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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