Ein knapper "Sieg" für Erdogan - eine Niederlage für die Türkei

Die AKP sieht sich als Sieger des Referendums.
Die AKP sieht sich als Sieger des Referendums.(c) APA/AFP/OZAN KOSE (OZAN KOSE)
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Der türkische Präsident sollte demütig damit umgehen, dass ihm bestenfalls nur eine sehr knappe Mehrheit noch mehr Macht in die Hände geben will. Wenn er das politische System noch autoritärer macht, verlieren alle.

Er hat intensiv daran gearbeitet, hat alles daran gesetzt, um seine Wünsche durchzusetzen. Laut der Ergebnisse, die seine Anhänger Sonntagabend verbreiteten, hat es Recep Tayyip Erdogan offenbar knapp geschafft: Etwas mehr als 51 Prozent stimmten demnach für das Präsidialsystem, das der türkische Staatschef in seinem Land einführen will – ein System, das ihm in Zukunft noch mehr Macht verleihen wird als bisher. Die Opposition will das Ergebnis anfechten.

Doch auch wenn Erdogans Anhänger am Sonntagabend feierten, so ist das kein glänzender Sieg für den Staatschef. In den Metropolen Ankara und Istanbul war die knappe Mehrheit der Menschen gegen seine Idee von einem Präsidialsystem. Und in den von seiner AKP verbreiteten Resultaten ist türkeiweit auch nur ein sehr knappes Ja zu Erdogans Plänen herausgekommen.

Dieses Ergebnis erscheint noch knapper, wenn man bedenkt, dass Erdogan und seine Anhänger im Wahlkampf die geballte Macht des Staates auf ihrer Seite hatten. Denn eine faire Abstimmung war das nicht. Die Gegner einer Verfassungsänderung hatten im Wahlkampf weit weniger Raum als die Befürworter, um ihre Argumente vorzubringen – sei es in den Massenmedien oder bei Veranstaltungen. Und führende Politiker der prokurdischen Partei HDP, die gegen das Präsidialsystem ist, sowie zahlreiche Erdogan-kritische Journalisten hatten dafür überhaupt keine Möglichkeit: Sie sitzen nämlich im Gefängnis.

Erdogan herrschte schon bisher so, als hätte er bereits all diese Vollmachten, die ihm die neue Verfassung erst geben soll: Obwohl er als Präsident eigentlich nicht dafür zuständig ist, leitet er de facto die Regierungsgeschäfte; der Premierminister ist nur sein Erfüllungsgehilfe. Und Erdogan macht harte Parteipolitik, obwohl er als Präsident eigentlich überparteilich agieren müsste.

Mit einer Änderung der Verfassung bekommt Erdogan auch ganz offiziell alle Instrumente in die Hand, die er für seine Vorstellung von einem „effizienten“ Regieren braucht. Das lässt befürchten, dass er nun einen noch autoritäreren Weg einschlagen wird als bisher. Er würde damit endgültig die Knospen der Demokratie zertreten, die sich in der Türkei seit den 1990er-Jahren zaghaft entwickelt haben. Und er würde damit auch selber einen Teil seines Lebenswerkes zerstören. Denn es war er, der in der Anfangsphase seiner Regierungszeit mit Reformen zunächst ein freieres und demokratisches Umfeld geschaffen hatte.

Erdogan sollte es als Signal verstehen, dass so viele Türken gegen seine Ambitionen nach mehr Macht gestimmt haben - trotz der gewaltigen Ja-Wahlkampfmaschinerie, die das Land in den vergangenen Wochen überrollt hat. Er sollte demütig mit dem Ergebnis umgehen, sollte auf die Opposition zugehen, wieder mehr Freiheit zulassen und nicht Kritiker einfach mit Terroristen und Vaterlandsverrätern gleichsetzen.

Ob Erdogan das tun wird, erscheint angesichts seines jüngsten politischen Verhaltens jedoch fraglich. Für die Türkei wäre ein Abgleiten in einen noch autoritäreren Staat jedenfalls verheerend. Erdogan hat seinen Wählern versprochen, mit dem neuen Präsidialsystem für mehr Stabilität im Land zu sorgen. Doch dann wird das Gegenteil der Fall sein, wird die Spaltung der türkischen Gesellschaft noch tiefer werden als sie ohnehin schon ist. Eine weitere Abkehr von politischen und gesellschaftlichen Freiheiten wird auch die Wirtschaft weiter schwächen. Denn es waren mitunter diese Freiheiten, die zum wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen zwei Jahrzehnte beigetragen haben.

Ein autoritäres System, vielleicht auch die Einführung der Todesstrafe, wie Erdogan das im Wahlkampf immer wieder versprochen hat: Das wird der Türkei endgültig den Weg in die Europäische Union versperren. Die EU-Staaten waren in der Frage EU-Beitritt nicht immer ehrlich zur Türkei und blockierten diesen Weg auch immer wieder willkürlich mit Hindernissen – zu einem Zeitpunkt, als die Entwicklungen in der Türkei noch weit besser waren als heute. Sollte sich das Land nun aber endgültig von der EU abwenden, wird das der Türkei schaden – und auch den Europäern, die einen wichtigen Partner verlieren.

Das Ergebnis des Referendums mag ein knapper Sieg für Erdogan und sein persönliches Machtstreben sein. Es könnte aber zu einer großen Niederlage für die Türkei und für Europa werden.

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